SakralobjekteDer Evangelist Johannes aus Warlin, zweite Hälfte 15. Jahrhundert

Das Bildnis zählte zum gehobenen Inventar der Warliner Feldsteinkirche. Der eindrucksvolle Bau entstand im niederadligen Umfeld. Die Ortschaft „Werdelin“ war seit alters her ein ritterschaftliches Gut, das u. a. die von Manteuffel wie auch die von Dewitz besaßen. Darüber hinaus hatten die Eigentümer weiteren Adligen und Klerikern der Region aus der Feld-flur einzelne Hufen Land bzw. Pfandrechte über-lassen. Zu den Begünstigten gehörte der Ritter Busse von Döhren. Er schenkte 1455 dem Neubrandenburger Franziskanerkloster zwei Hufen Acker aus der Warliner Gemarkung. Spätestens ab dieser Zeit gab es einen kontinuierlichen Kontakt zwischen der Dorfgemeinschaft und dem Bettelordenskonvent. So ist es naheliegend, dass die in dieser Zeit gefertigte Figur des Heiligen Johannes durch Vermittlung der Brüder nach Warlin gelangte. Möglicherweise war das Schnitzwerk Teil eines größeren Altars. Dafür spräche die ausgesprochen schlanke Gestalt der Skulptur. Die Nähe des Sakralobjektes zur Neubrandenburger Franziskanerniederlassung lässt sich auch damit begründen, dass deren Gotteshaus St. Johannes geweiht war. Wie sich zeigen wird, gibt auch das Bild selbst wichtige Hinweise, die diese Verbindung bekräftigen.

 

Das 109 cm hohe Kunstwerk wurde aus einem Eichenholzstück hergestellt. Abgebildet ist ein betagter Mann mit gegürteter roter Tunika und einem braunen Umhang, der mit weitem Faltenwurf den Korpus umhüllt. Die Rotfärbung der Gewandung ist ein typisches Zeichen für den Evangelisten Johannes. Die Füße bekleiden Stiefel. Sie besitzen an der Vorderseite schnallenbesetzte Verschlussriemen. Johannes hält in den Händen ein aufgeschlagenes Buch, das ihn als Autor heiliger Schriften ausweist. Er schaut andächtig, beinahe streng auf die Buchseiten. Die Stirn in Falten gelegt, verkündet er ehrfurchtsvoll den göttlichen Willen. Sein würdevolles Antlitz wird durch die sehr detailreich gestaltete Haar- und Barttracht besonders akzentuiert. Die sorgfältig herausgearbeiteten Locken sind zweifellos Merkmale antiker Frisuren. Darstellungen des ergrauten Johannes, der laut einer Legende fast 100 Jahre alt wurde, kamen nur selten zur Ausführung. Traditionell zeigen Johannes-Bildnisse einen bartlosen Jüngling. Weil man in der römischen Glaubensauslegung den Jünger Johannes mit dem Evangelisten Johannes gleichsetzte, entwickelten sich die figürlichen Interpretationen des Lieblingsjüngers Jesu zum bevorzugten Motiv. Dem gegenüber verkörpert der greise Johannes den Evangelisten. Diese spezielle Eigenschaft rückt den Warliner Johannes wieder in das Blickfeld der franziskanischen Glaubensbrüder. Waren es doch die Evangelien, die dem Bettelorden als Leitlinien seines Handelns dienten. Letztlich betont die Farbe des Umhanges die Verbindung der Figur zum Neubrandenburger Konvent. Braun symbolisiert in der liturgischen Auslegung die Vergänglichkeit. Der aus Rot und Schwarz gemischte Farbton steht für Trauer, Demut, Buße und Bescheidenheit. Weil diese Eigenschaften das geistige Fundament der asketischen Lebensweise bilden, tragen die Anhänger des Heiligen Franziskus (ordo fratrum minorum) braune Gewänder.

 

Heute ist das geschichtsträchtige Kunstwerk des Evangelisten Johannes fester Bestandteil der Stadtgeschichtsausstellung im ehemaligen Franziskanerkloster. An diesem Ort schließt sich der Kreis seiner bewegten Geschichte.

 

 

Text: Rainer Szczesiak, Roga

Bild: Ralf Bruse, Regionalmuseum Neubrandenburg

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