Bundespräsident besucht Archiv der DDR-Opposition Joachim Gaucks Reise in die eigene Vergangenheit

Von Markus Geiler

18.06.2014 · Berlin. Der Besuch des Archivs der DDR-Opposition in Berlin war für den Bundespräsidenten am Dienstag auch ein Trip in die eigene Vergangenheit. Entsprechend warme Worte fand Gauck für die Mitarbeiter, die sich mit Projektförderungen über Wasser halten.

"Was ist denn das?", entfuhr es dem Bundespräsidenten, als Mitarbeiter des in Berlin ansässigen Archivs der DDR-Opposition am Dienstag ein 24 Jahre altes Plakat entrollten. Darauf zu sehen ist das Konterfei des Rostocker Spitzenkandidaten des damaligen Bündnis 90 zur ersten freien Volkskammer-Wahl am 18. März 1990: Unter dem dicken Slogan "Freiheit - wir haben sie gewollt, wir gestalten sie!" steht da "Jochen Gauck - tatkräftig - zuversichtlich - mit norddeutschem Profil". Damals sei er noch der Jochen gewesen, erinnert sich Gauck schmunzelnd: "Der Joachim kam erst später in Berlin dazu."

Das Plakat ist eines von rund 800 aus den Beständen des bundesweit einzigartigen Archivs in einem Hinterhaus in Prenzlauer Berg. Gesammelt wird von den insgesamt fünf Mitarbeitern auf knappen 700 Quadratmetern alles, was mit Opposition und Widerstand gegen das SED-Regime zwischen 1945 und 1990 zu tun hat. Trägerin ist die 1990 gegründete Robert Havemann Gesellschaft.

Die Bestände umfassen derzeit 160.000 Fotos, 5.000 Videos, 400 Audiokassetten und etwa 500 Regalmeter Schriftgut. Dazu kommen 70 Transparente, 30 laufende Meter Pressedokumentation und eine Präsenzbibliothek mit etwa 9.000 Buch- und 160 Zeitschriften- und Zeitungstiteln. Und es kommt weiteres Material dazu. Eine der jüngsten Neuerwerbungen ist ein Transparent von einer Frau aus Stralsund mit dem Slogan "Alle Mauern müssen weg" vom Olof-Palme-Friedensmarsch 1987, das sie damals durch die Hansestadt trug.

Die aus dem Nachlass des 1982 gestorbenen SED-Regimekritikers Robert Havemann, dem Matthias-Domaschk-Archiv der Berliner Umwelt-Bibliothek und dem Archiv Grauzone zur ostdeutschen Frauenbewegung hervorgegangene Sammlung platzt aus allen Nähten. "Ein Umzug in größere Räume wäre dringend nötig", sagte Geschäftsführer Olaf Weißbach. Die Einrichtung ist auch chronisch unterfinanziert und hält sich seit Jahren nur mit Projektförderungen über Wasser.

Der Bundespräsident, der vor einem halben Jahr eingeladen wurde und den geschichtsträchtigen 17. Juni für seinen Besuch auswählte, versprach, sich für eine langfristige Finanzierung des Archivs bei den Koalitionsparteien einzusetzen. Diese haben eine entsprechende Förderung zwar im Koalitionsvertrag vereinbart, passiert sei aber bislang nichts, sagte Geschäftsführer Weißbach.   

Gauck lobte das Archiv als eine wichtige Einrichtung für die gemeinsame deutsche Geschichte. In diesem Land schwimme man gerne mit dem Strom und vermeide anzuecken, sagte der Bundespräsident. "Deswegen muss es Einrichtungen wie diese geben, in dem von Leuten erzählt wird, die Zivilcourage gezeigt haben", fügte er hinzu. Da die zumeist aus der Bürgerrechtsbewegung stammenden Mitarbeiter selbst "lebendige Exponate für Zivilcourage und Engagement" seien, so Gauck, lud er sie zu den zentralen Feierlichkeiten zur friedlichen Revolution am 9. Oktober in Leipzig ein.

Bei seiner Besichtigungstour durch das Archiv stieß der Bundespräsident auch auf eine alte Zigarrenschachtel, die bei ihm Erinnerungen weckte. Die Schachtel gehörte dem Rostocker Studenten Roland Bude, der 1950 von der sowjetischen Militäradministration wegen Spionage und antisowjetischer Hetze zu zwei Mal 25 Jahren Arbeitslager verurteilt wurde. Bude wurde zur Zwangsarbeit nach Workuta in ein Straflager nördlich des Polarkreises verschleppt.

In Erinnerung an seine Haftzeit bewahrte Bude in der Zigarrenschachtel all die Jahre zwei Päckchen des berühmt-berüchtigten russischen Machorka-Tabaks und Zigaretten der sowjetischen Marke "Belomor Kanal" auf und vermachte sie schließlich dem Archiv. "Belomor Kanal kenne ich", sagte Gauck nachdenklich. "Die hat mein Vater damals auch aus seiner Haftzeit in einem sibirischen Arbeitslager mitgebracht."

Quelle: epd



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