Zu Besuch im Pfarramt Glewitz Was Pastor Kneißl in Pommern hält
Von Uta Wilke
07.09.2015 · Glewitz/Kiel. Mitgliederschwund, demografischer Wandel: Die fusionierte Nordkirche steht vor großen Herausforderungen. Die Synode will sich Ende September mit der „Zukunft der Ortsgemeinde“ befassen und Impulse für die Arbeit an der Basis setzen. Wir waren vor Ort: Wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen – das Pfarramt Glewitz in Pommern.
Pastor Rolf Kneißl zeigt auf den Fluss, der die Grenze seines Pfarramtes und die Grenze zu Mecklenburg markiert. „Die Trebel fließt rückwärts, wenn die Peene, in die sie mündet, Hochwasser hat.“ Das könnte man als Sinnbild für die Landschaft werten. Der Besucher fühlt sich wie in einer anderen Zeit. Die Gegend, eine halbe Bahnstunde südlich von Stralsund, ist eine Idylle mit weiten Feldern und Wald – und natürlich strukturschwach. Außer in der Landwirtschaft ist für die Menschen kaum Arbeit zu finden. Die Jungen verlassen die Dörfer.
Kneißl (52), verheiratet mit einer Denkmalschützerin, wurde in Jena geboren und studierte in Halle Theologie. „Natürlich war ich gegen den Staat“, sagt er. „Aber man hat mit dem System gelebt.“ Seit 23 Jahren ist er hier Pastor. Es geht ihm wie vielen Kollegen im Osten: große Entfernungen, wenige Mitglieder, viele – denkmalgeschützte – Kirchen mit hohem Sanierungsbedarf. Nur 500 Schäfchen zählen zu dem Pfarramt mit den Kirchengemeinden Glewitz und Rakow, aber das Gebiet misst 25 Kilometer in der Längenausdehnung, sechs Kirchen betreut der Pastor. Gottesdienst findet deshalb in jeder Kirche nur einmal im Monat statt.
Trotz der Entfernungen kennt er jedes Mitglied, und jedes Mitglied kennt ihn. Früher flitzte der Gottesmann mit einem roten Alfa durch die Gegend. Das war ein gutes Erkennungszeichen („Jeder wusste, jetzt kommt der Pastor“), brachte ihm aber unerwünschte Punkte in Flensburg ein. Kneißl setzt mit zunehmendem Alter auf Entschleunigung, ist auf ein weniger sportliches Auto umgestiegen und nutzt, wo er kann, sein E-Bike. Das erspart ihm nicht nur Punkte, sondern dient auch einem guten Zweck. „Ich will den Leuten nicht nur aus dem Wagen zuwinken. Beim Gespräch am Gartenzaun überlegt sich manch einer schon mal, sein Kind doch noch taufen zu lassen.“ Man merkt: Der Pastor arbeitet mit Humor und einer Prise Selbstironie.
Die ersten "Kirchenmäuse“ des Pfarramtes
Das mögen auch die Kinder. Johanna (12) und Henrike (10) sind schon im Konfirmanden-Unterricht, denken aber mit Freude an ihre Zeit als erste „Kirchenmäuse“ des Pfarramtes zurück. Die Gruppe, in der Kinder ab dem Krippenalter zusammenkommen, wurde von Mutter Jeannette Lübs (38) und Kneißl aufgebaut. „Kindergottesdienst gibt es bei uns nicht, wir haben in den einzelnen Kirchen zu wenige Kinder“, sagt der Pastor. Den Kleinen wird mit Hilfe von Handpuppen – der vorwitzigen „Kirchenmaus“ und dem schlauen „Mönch Benno“ – auf einfache Weise die Bibel nahegebracht. Für die Größeren gibt es im Pfarrhaus Freizeiten. „So schließen unsere Kinder, die aus verschiedenen politischen Gemeinden und Schulbezirken kommen, Freundschaften über die Kirche.“ Das macht sich auch für den Pastor „bezahlt“: Wo man Freunde trifft, geht man gern wieder hin.
Die Landwirtsfrau und gelernte Verwaltungsfachangestellte Lübs ist in Wolgast aufgewachsen. „Meine Eltern waren dem System treu. Ich war bei den Jungen Pionieren. Dort wurde das Zusammengehörigkeitsgefühl gefördert, mir hat es Spaß gemacht“, erzählt die Kirchenälteste. Über Glaube und Religion dachte sie erst später nach. Ermutigt durch ihren Mann, der aus dem Westen stammt, tat sie den ersten zaghaften Schritt in die Kirche Rakow – und gehört inzwischen zu den großen Stützen der Gemeinde.
"Unsere Mitglieder haben sich bewusst für die Kirche entschieden"
So wie auch Johannes Soeder (63), Prädikant (Laienprediger) und Kirchenkreis-Synodaler. In der DDR studierte er zunächst Theologie. „Wenn ich die Leute zur Kritik am System ermutigte, kam oft als Antwort: ,Du hast gut reden, als Pastor kann dir ja nicht so viel passieren.’ Deshalb habe ich auf Landwirtschaft umgesattelt. Den einfachen Weg wollte ich nicht gehen.“ Auch heute macht es sich Soeder nicht leicht, er hat viel Grundsätzliches zu sagen. Westler merkten oft an, dass die Kirche im Osten so wenige Mitglieder habe. „Ja, wir sind wenige“, erklärt er fast trotzig. „Aber unsere Mitglieder haben sich bewusst für die Kirche entschieden, damals wie heute.“ Nur, die geringe Zahl Gläubiger schafft auch Probleme. Soeder klagt über den Beschluss der Nordkirchen-Synode, wonach den Kirchengemeinderäten künftig mindestens sechs Älteste angehören müssen. „In unserer kleinen Gemeinde Rakow ist das kaum zu schaffen.“ Die Fusion mit Glewitz ist für ihn kein Ausweg.
Für den Pastor hingegen würde durch eine Fusion vieles einfacher. Die Bedenken kann er aber gut verstehen. „Die Identifikation findet hier über die Ortsgemeinde und den Kirchturm statt.“ Ihren Kirchen fühlen sich die Menschen in Pommern ganz besonders verbunden. Auch das hat wohl etwas mit der Vergangenheit zu tun. Zu DDR-Zeiten wurde etwa die – ebenfalls zum Pfarramt gehörende – Barock-Kirche St. Andreas in Nehringen für baufällig erklärt und geschlossen. Der Küster und Kirchenälteste Klaus Bergemann (75) schrieb Protestbriefe, sammelte Spenden, legte selbst Hand an. Das Gotteshaus wurde in jahrzehntelanger Arbeit wieder aufgebaut. „Ohne ihn gäbe es die Kirche nicht mehr“, weiß Kneißl. Heute ist sie ein Schmuckstück und Aushängeschild der Region. „Sogar Amerikaner und Chinesen waren schon hier“, erzählt Bergemann stolz.
Als Kneißl kurz nach der Wende nach Glewitz kam, wollte er beim Anblick von so viel Verfall eigentlich ganz schnell wieder weg. Doch bald lernte er, die alten Gemäuer zu lieben und für ihren Erhalt zu kämpfen. Es sind wohl auch Leute wie der tatkräftige Küster, die ihn zum Bleiben bewegt haben. „Man muss sich eben auf die Menschen hier einlassen“, sagt der Pastor.
Quelle: Kieler Nachrichten