"Weniger ist anders" Die Kirche in MV sucht nach neuen Wegen für ihre Gemeinden

Von Nicole Kiesewetter

Zwischen Erde und Himmel: die Kirchengemeinde. Luftballons beim Open-Air-Gottesdienst in Ahlbeck.

Foto: Archiv

07.04.2016 · Greifswald. Demografischer Wandel, zurückgehende Mitgliederzahlen: In Mecklenburg-Vorpommern sind seit 1990 mehr als 40 Prozent aller Pfarrstellen eingespart worden. Ist der Osten damit dort, wo der Westen in 50 Jahren sein wird?

"Manche Ortsgemeinden fragen sich nicht, welche Zukunft sie haben, sondern ob sie überhaupt eine Zukunft haben", sagt der pommersche Bischof Hans-Jürgen Abromeit. Gerade auf den Dörfern gehören die Kirchengebäude nach Ansicht des Bischofs zum "Traditionsschatz" und die Kirchengemeinde manchmal zu den letzten zivilgesellschaftlichen Akteuren - doch wie lange noch?  Welche Ideen und Modelle gibt es für die Zukunft der Ortgemeinden? Mit diesem Thema wird sich auch die pommersche Kirchenkreissynode bei ihrer Frühjahrstagung am Freitag und Sonnabend (8./9. April) in Züssow beschäftigen.

Die Zahlen belegen: Der Rückgang bei den Kirchenmitgliedern ist prozentual mehr als doppelt so hoch wie der Rückgang der Gesamtbevölkerung. Allein der pommersche Kirchenkreis hat zwischen 2011 und 2015 über zehn Prozent seiner Mitglieder verloren. Es muss also noch andere Gründe für die starke Schrumpfung der Kirchenmitgliederzahl geben. Für Bischof Abromeit ist es einerseits der massive Traditionsabbruch aufgrund der zahlreichen Kirchenaustritte in den vergangenen Jahrzehnten. Andererseits werde der Glaube in evangelischen Familien nicht mehr so selbstverständlich weiter gegeben wie früher. "Die Kinder kennen keinen Gleichaltrigen, der Christ ist. Warum sollten sie es dann sein?"

Damit es nicht zum kulturellen Abbruch kommt, müsse man den Menschen deutlich sagen: "Wenn das Dorf nicht in der Kirche bleibt, wird auch die Kirche nicht im Dorf bleiben", so Bischof Abromeit. Mit den Entwicklungen einhergehe auch ein tiefer Wandel der Pastorenrolle. Das "Mehr-Gemeinden-Pfarramt" bringe die Schwierigkeit mit sich, dass eine Identifikation mit der jeweiligen Kommune immer schwieriger werde. "Das führt dazu, dass der Pastor nicht mehr Teil der Gesellschaft des Ortes ist, sondern dieses nur noch vortäuscht." Das aber lässt sowohl ihn wie auch die Gemeindeglieder unbefriedigt.

"Man muss etwas erproben"

"Weniger ist anders", formuliert der Schweriner Bischof Andreas von Maltzahn. Für ihn dürfen gesellschaftliche Veränderungen in ländlichen Räumen nicht einfach mit einem weiteren Rückbau beantwortet werden. Das hieße, "Strukturen hoffnungslos zu überdehnen und Haupt- und Ehrenamtliche zu überfordern". Deutlich sei, dass die traditionelle Aufteilung eines geografischen Raums in einzelne Pfarrgemeinden mit einer flächendeckenden Versorgung der Kirchenmitglieder mancherorts nicht mehr zu gewährleisten sei. Deshalb wird in Mecklenburg über eine "Erprobungsregion" für neue Formen gemeindlichen Lebens nachgedacht.

In der "Erprobungsregion" werden Gemeinden neu zugeschnitten. Anders als bisher richtet sich die Größe einer Gemeinde dabei nicht mehr nach Gemeindegliederzahlen, Mitarbeiterstellen oder Gebäuden, sondern danach, ob sich eine pastorenunabhängige Gemeindeleitung mit geeigneten Kompetenzen findet. Ehrenamtliche sollen in noch stärkerem Maße Leitungsverantwortung wahrnehmen und dafür durch Fortbildungen gestärkt werden. Hauptamtlichen soll wieder stärker ein Arbeiten ermöglicht werden, das ihrer Profession entspricht.

"Man muss etwas erproben", sagt auch Bischof Abromeit und betont, dass es das Nebeneinander verschiedener Modelle braucht. Dort, wo es funktioniert, habe die klassische Ortgemeinde mit starken persönlichen Bindungen ihre Berechtigung. Dass es auch anders gehe, zeige beispielsweise die Johannisgemeinde in Greifswald. Die Kirchengemeinde komme dort nicht um ein altehrwürdiges Backsteingebäude herum zusammen, "es geht um erlebte Gemeinschaft".

Kirchengemeinden sollten seiner Ansicht nach mehr Mut haben, ein klares, eigenes Profil zu entwickeln. Das hänge jedoch auch von den örtlichen Gegebenheiten ab. Eine Gemeinde in Stadtnähe oder im Tourismusgebiet an der Ostsee habe eben andere Möglichkeiten als eine Gemeinde im östlichen Teil Vorpommerns. Abromeit: "Ein Profil kann man nicht vorgeben, das muss sich entwickeln".

Quelle: epd



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