Theater-Premiere Fremde im eigenen Land - Die DDR-Kinder von Namibia
Von Martina Schwager
27.05.2016 · Güstrow/Osnabrück. Rund 400 namibische Kinder wurden zwischen 1979 und 1988 in der ehemaligen DDR in Sicherheit gebracht. Ihre Geschichte ist nun erstmals auf einer deutschen Theaterbühne zu sehen. Im Juni wird das Stück im Ernst-Barlach-Theater Güstrow gezeigt.
Monica Nambelela war vier, als sie Anfang der 1980er Jahre mutterseelenallein in die damalige DDR kam - aus einem Flüchtlingslager der "Swapo". Die namibische Befreiungsbewegung kämpfte damals gegen die südafrikanischen Besatzer und bekam Hilfe vom SED-Regime: Zwischen 1979 und 1988 brachte die Swapo rund 400 namibische Kinder in der DDR in Sicherheit. Monica Nambelela war eine von ihnen. Die heute 37-Jährige lebte in einem Internat in Bellin bei Güstrow, lernte die deutsche Sprache, deutsche Tugenden und sozialistische Werte - bis sie 1990 wieder zurückkehren musste: "Erst war ich fremd im fremden Land, dann war ich fremd im eigenen Land."
Das Theater Osnabrück ist die erste Spielstätte in Deutschland, die die Geschichte der sogenannten DDR-Kinder von Namibia auf die Bühne bringt. Die Uraufführung von "Oshi-Deutsch - Die DDR-Kinder von Namibia" hat an diesem Freitag Premiere. Im Juni wird das Stück in Güstrow sowie in Staßfurt (Sachsen-Anhalt) gezeigt. Im August soll es Aufführungen in Namibia geben. Oshi-Deutsch ist die offizielle Sprache des Vereins, den einige Ehemalige gegründet haben. Es ist eine Mischung aus Deutsch, Englisch und Oshivambo.
Nambelela ist zusammen mit ihrer Tochter Shakira (13) zu den Proben nach Osnabrück gekommen. Shakira wird in dem Theaterstück eines der DDR-Kinder verkörpern. "Sie hat gesagt: 'Mama, jetzt weiß ich, warum du nicht so spontan sein kannst'", berichtet ihre Mutter und lächelt dankbar. Mit ihrer deutschen Pünktlichkeit und ihrer Vorliebe für einen durchstrukturierten Tagesablauf sei sie auch heute noch anders als die meisten ihrer Landsleute.
Nachwuchs für die Führungselite in Namibia
Regisseur Gernot Grünewald und seine namibische Kollegin Sandy Rudd haben Nambelela und einige andere der heute erwachsenen Oshi-Deutschen in Namibia aufgesucht und interviewt. "Auf der Bühne werden Kinder wie Shakira, aber auch Schauspieler aus Deutschland und Namibia die Hauptpersonen sowie ihre Erzieher und Lehrer darstellen", sagt Grünewald. Im ersten Teil erzählen sie vom vormilitärischen Drill, der Erziehung zu Disziplin und Pünktlichkeit, aber auch vom quälenden Gefühl der Heimatlosigkeit.
Auch Monica Nambelela hatte als kleines Mädchen mit Heimweh, ungewohntem Essen und fremden Bräuchen zu kämpfen. Doch sie gewöhnte sich an vieles. Die Schulen in Staßfurt und auf Schloss Bellin bei Güstrow waren gut, die Versorgung ebenso. Die sozialistische Erziehung machte sie zu einer gebildeten, selbstbewussten jungen Frau. "Dafür bin ich heute noch dankbar", sagt Nambelela. Sie und die anderen waren als Führungselite für ein späteres sozialistisches Namibia vorgesehen.
Doch 1990 sollten die Wendungen der Weltgeschichte ihr Leben ein zweites Mal tiefgreifend verändern: Namibia erlangte seine Unabhängigkeit - fast zeitgleich mit dem Zusammenbruch des DDR-Regimes. Von heute auf morgen saßen die 400 jungen Menschen im Flugzeug zurück in eine Heimat, die nicht mehr die ihre war.
"Wir waren unsere Familie und die besten Brückenbauer"
Die namibische Regisseurin Sandy Rudd wird das Chaos auf die Bühne bringen, in das viele nach der plötzlichen Rückkehr stürzten. "Die Jugendlichen kamen aus einem von morgens bis abends durchgetakteten Alltag in eine totale Strukturlosigkeit", sagt Grünewald. Sie seien überwiegend sich selbst überlassen worden. Hilfsangebote habe es viel zu wenige gegeben. "Viele hatten große Probleme, sich wieder in ihre Dorfgemeinschaften zu integrieren und die Armut zu verkraften", sagt Nambelela und kämpft mit den Tränen. "Mein Bruder hat es nicht geschafft. Er hat sich das Leben genommen."
Einige Jugendliche kamen wie Monica wieder in ein Internat. "Ich war die einzige Schwarze in meiner Klasse unter lauter deutschen Farmerskindern und war deutscher als sie." Monica klammerte sich an die Gemeinschaft mit sieben weiteren Oshi-Deutschen, die dasselbe Internat besuchten. "Wir waren unsere Familie." Später hat sie studiert, ist Journalistin geworden. Heute arbeitet Nambelela für das namibische Informationsministerium.
Die Wechselspiele ihres Lebens und die Suche nach einer Identität zwischen zwei Kulturen sieht Nambelela nicht nur negativ. "Für Namibia waren wir die besten Brückenbauer, haben Grenzen und Schranken abgebaut. Heute bin ich im Einklang mit meiner namibischen und mit meiner deutschen Kultur."
Quelle: epd