Jugendliche aus Guinea, Gambia und Eritrea Sichere Obhut in der Wohngruppe
PEK / Sebastian Kühl
13.04.2017 · Stralsund. In Stralsund haben sieben minderjährige unbegleitete Flüchtlinge aus West- und Ostafrika Schutz gefunden. Ermöglicht haben dies die Stralsunder Nikolaigemeinde und das Kreisdiakonische Werk.
Es ist ruhig in dieser Stralsunder Wohngegend. Der schlichte Flachbau, der inmitten der Siedlung steht, ist unauffällig und wird normalerweise wenig besucht. Doch einige leer stehende Räumlichkeiten in dem nur teilweise genutzten Gebäude, das der Stralsunder Nikolaigemeinde gehört, sind seit Dezember des vergangenen Jahres von Leben erfüllt. Sieben minderjährige unbegleitete Flüchtlinge haben in dem Haus Obdach innerhalb einer Wohngruppe gefunden. Die Jugendlichen stammen aus Guinea, Gambia und Eritrea. „Es ist nicht einfach, eine Immobilie zu finden, die dann auch die Kriterien erfüllt, die für eine behördliche Genehmigung nötig sind“, weiß Benedikt Banaszkiewicz. Er ist Bereichsleiter Jugendarbeit des Kreisdiakonischen Werks Stralsund, Leiter der Unterkunft und Teil eines Fünfer-Teams, das die Jugendlichen im Schichtsystem rund um die Uhr betreut.
Verteilung nach Königsteiner Schlüssel
Die Einrichtung sei aufgrund der dringenden Bitte des Landkreises Vorpommern-Rügen aufgebaut worden, der über das Jugendamt gesetzlich zur Inobhutnahme von Minderjährigen gleich welcher Herkunft verpflichtet sei. „In den Vorgaben für eine derartige Unterkunft ist alles ganz genau geregelt. Zum Beispiel die Quadratmeterzahl und die Fachbetreuung“, erklärt Benedikt Banaszkiewicz. Dementsprechend sei Sieben auch die Maximalzahl für Bewohner in dem Gemeindehaus. Alles sei vorschriftsgemäß und ganz einfach eingerichtet. Dabei sei aber alles Notwendige vorhanden und es gebe auch einen gemütlichen Gemeinschaftsraum für die jungen Afrikaner. Ursprünglich seien die sieben Jugendlichen im Raum Bremen untergebracht gewesen, doch dann gemäß der Verteilung nach dem Königsteiner Schlüssel, der die Lastenteilung in der Bundesrepublik regelt, nach Stralsund gekommen, erklärt der Leiter der Unterkunft.
Flucht hat Spuren hinterlassen
Die 16- und 17-Jährigen haben einen strukturierten Alltag. Sie gehen im Berufszentrum in Velgast zur Schule und betätigen sich unter Anleitung des Betreuerteams sinnvoll in ihrer Freizeit. Auf dem Hinterhof der Unterkunft befindet sich ein kleiner, verwilderter Garten, den die Jugendlichen wieder herrichten und sich so gleichzeitig einen Raum für gemeinsame Aktivitäten unter freiem Himmel schaffen. Außerdem bauen sie sich alte Fahrräder wieder auf, damit sie mobiler sind. „Natürlich dürfen sie sich frei in der Stadt bewegen, machen von dieser Möglichkeit aber unterschiedlich Gebrauch“, hat Benedikt Banaszkiewicz beobachtet. Das habe mit dem ganz persönlichen Sicherheitsgefühl zu tun. „Einige der Jugendlichen waren bis zu zwei Jahre auf der Flucht. Sie sind physisch und psychisch gezeichnet. Wenn sie Hilfe brauchen, dann bekommen sie die, aber wir bedrängen sie nicht.“ Er habe aber schon Einiges mitbekommen, erzählt der Leiter. So hätten manche der Jugendlichen schlimme Erfahrungen in Nordafrika gemacht, wo sie wegen ihrer Hautfarbe angegriffen und aufgrund ihrer fortschrittlichen Einstellung nicht als Muslime akzeptiert worden seien. Unter den sieben Jugendlichen in der Stralsunder Unterkunft ist ein Christ, die anderen sind Muslime.
Respektvoller Umgang mit Religionen
Ein Erlebnis hat Benedikt Banaszkiewicz besonders beeindruckt. „Nach dem Anschlag in Berlin auf den Weihnachtsmarkt sind alle sieben Jugendlichen mit mir zusammen zum Stralsunder Friedensgebet gegangen, um ein klares Signal zu setzen.“ Eine mutige und wichtige Entscheidung, wie der Unterkunftsleiter findet. „Alle sieben kommen aus liberalen und früher durchaus wohlhabenden Familien. Mit Extremisten haben sie genauso wenig zu tun, wie wir. Sie haben auch nicht in Hütten gelebt, wie sich das manche vielleicht vorstellen, sondern waren einen hohen Lebensstandard gewöhnt. Sie stammen aus der intellektuellen Oberschicht in ihren Ländern und hatten einmal alles das, was Jugendliche hier auch haben, wie Spielkonsolen oder Smartphones. Sie kamen nicht aus wirtschaftlichen Gründen, sondern mussten fliehen, weil ihre Familien politisch verfolgt wurden.“ Der diffuse Begriff „Flüchtling“ werde hier in der Unterkunft ganz kleinteilig und löse sich in persönlichen Geschichten und Einzelschicksalen auf, hat Benedikt Banaszkiewicz erlebt. So ist das Miteinander von Betreuern und Bewohnern mittlerweile sehr eng geworden, fast wie in einer WG, einer Wohngemeinschaft. Auch die verschiedenen Religionen haben bislang nicht zu Problemen geführt. „Wir pflegen einen respektvollen Umgang miteinander. Aber wir als Betreuer zeigen ganz klar, dass wir Christen sind und ein christlicher Träger diese Unterkunft betreibt“, so Benedikt Banaszkiewicz.
Diakonie ist mitten in der Kirchengemeinde
Ermöglicht wurde die Schaffung der Unterkunft durch die Zusammenarbeit zwischen der Kirchengemeinde St. Nikolai und dem Kreisdiakonischen Werk (KDW) Stralsund, einem Werk des Pommerschen Evangelischen Kirchenkreises, das diesbezüglich als vom Landkreis beauftragter Träger tätig ist. Die Zusammenarbeit nahm der Diakonieausschuss der Pommerschen Kirchenkreissynode zum Anlass, um sich zu einer Sitzung in der Stralsunder Unterkunft für minderjährige Flüchtlinge zu treffen. Der Ausschuss kommt zwei bis drei Mal jährlich zusammen und trifft sich zu seinen Sitzungen stets in diakonischen Einrichtungen, damit die Ausschussmitglieder Eindrücke von der Arbeit sammeln und sich ein konkretes Bild machen können. „Wir wollen mit diesen Vor-Ort-Besuchen auch sagen: Wir nehmen euch und eure Arbeit wahr“, hieß es seitens der Ausschussmitglieder. „Dass für die Unterkunft ein Gebäude der Kirchengemeinde genutzt wird, bedeutet, dass Diakonie mitten in der Gemeinde ist und handelt“, so der Ausschuss in seiner Sitzung. „Kirchenkreis und Kirchengemeinde ziehen an einem Strang.“ Begleitet wurde der Diakonieausschuss während seiner Sitzung in der Stralsunder Wohngruppe von Christine Deutscher, Flüchtlingsbeauftragte des Pommerschen Evangelischen Kirchenkreises, Frank Hunger, Geschäftsführer des Kreisdiakonischen Werks Stralsund, und Dietmar Mahnke, Pastor der Stralsunder Kirchengemeinde St. Nikolai.
Quelle: pek