Buchvorstellung am 5. November in der Rostocker Nikolaikirche Biografien politisch Verfolgter und Diskriminierter in Mecklenburg aufgearbeitet
30.10.2019 · Rostock/Schwerin.Die Biografien von 148 Kindern, Jugendlichen, Frauen und Männern in Mecklenburg, die zwischen 1945 und 1990 politisch verfolgt und diskriminiert wurden, sind jetzt erforscht. Ergebnis ist ein Buch mit 148 Kurzbiografien; für Gemeinden und Einrichtungen liegen sie auch herausnehmbar in Ordnern gesammelt vor; eine Arbeitshilfe ermutigt zu erinnerungskulturellen Veranstaltungen.
Im Beisein von Zeitzeugen und Angehörigen werden die Biografien am Dienstag, 5. November um 15 Uhr in der Nikolaikirche zu Rostock mit Lesungen und Gesprächen öffentlich vorgestellt. Landesbischöfin Kristina Kühnbaum-Schmidt und Anne Drescher, MV-Landesbeauftragte für die Aufarbeitung der SED-Diktatur, werden die Aufarbeitung entgegennehmen und ein Impulsreferat halten.
Einblick in Leben, Überzeugung und erlittenes Unrecht
Die Historikerin Rahel Frank war mit der wissenschaftlichen Aufarbeitung der Biografien beauftragt. Sie hat dafür in den vergangenen vier Jahren zahlreiche Gespräche geführt und Akten studiert. Inhalt des Buches sind kurze Lebensberichte, in denen verschiedene Formen politischer Verfolgung und Diskriminierung dargestellt werden. Exemplarisch geben die Biografien einen Einblick in Leben, Überzeugung und erlittenes Unrecht derjenigen Menschen, die in Mecklenburg unter Sowjetherrschaft und SED-Diktatur verhaftet, ausgegrenzt, diskriminiert, mit Schweigeverbot belegt oder gar ermordet worden sind.
„Gut 22 bis 24 Prozent jeder Generation von DDR-Bürgern sind auf relativ dramatische Weise in irgendeiner Art traumatisiert worden. Diese Menschen haben Dinge erlebt, die politisch initiiert waren und die den Lebensweg des Einzelnen über kürzere oder längere Phasen entscheidend beeinflusst haben“, so die Wissenschaftlerin.
Betroffen waren unterschiedliche Gruppen von Menschen, auch zahlreiche Christen. Zu den Verfolgten gehörten beispielsweise Verurteilte sowjetischer Militärtribunale, in sowjetische Gulag-Lager Deportierte, in Speziallagern auf deutschem Boden Internierte, Zwangsausgesiedelte oder Menschen, die unter dem Ministerium für Staatssicherheit und anderen DDR-Organen leiden mussten. Themen sind: Fluchtversuche, Zwangsumsiedlungen, Enteignungen in der Landwirtschaft, Vorfälle rund um den Volksaufstand am 17. Juni 1953, Heimerziehung, Inhaftierungen und Freikäufe, Bausoldaten und Wehrdienstverweigerer sowie Jugendliche außerhalb der FDJ.
Impulse für den Umgang in Kirchengemeinden
Für jede der 245 mecklenburgischen Kirchengemeinden und für Einrichtungen liegt jetzt zudem ein Ringbuch mit Biografien vor. Zudem gibt es eine Arbeitshilfe mit Vorschlägen, wie mit den Dokumenten vor Ort in Veranstaltungen zum Beispiel in Gemeindegruppen aber auch mit Schülerinnen und Schülern gearbeitet werden kann. „Damit setzen wir als Evangelisch-Lutherischer Kirchenkreis Mecklenburg in Kooperation mit der Nordkirche und der Gesellschaft für Regional- und Zeitgeschichte e.V. die kritische Aufarbeitung der Zeit der deutschen Diktaturen des 20. Jahrhunderts fort“, sagt der mecklenburgische Propst Dirk Sauermann.
Schicksale wahrnehmen und Gespräch darüber eröffnen
Mit der Veranstaltung am 5. November wird zum einen eine fast vierjährige Arbeitsphase abgeschlossen – „mit Höhepunkten und sehr inhaltsreichen, aber auch strittigen Auseinandersetzungen“, so Propst Sauermann. „Dabei war und ist immer das Ziel vor Augen, den Menschen, die ihre Biografien zur Verfügung gestellt haben, Raum für die Wahrnehmung ihrer Geschichte und Gespräche darüber zu eröffnen. Wir freuen uns und sind dankbar, dass viele von ihnen in Rostock dabei sein werden.“
Nordkirche, Gesellschaft für Regional- und Zeitgeschichte und Kirchenkreis verstehen die Veranstaltung als Auftakt für einen Prozess der Erinnerungskultur, der sich jetzt entwickeln kann. Propst Sauermann: „Dieser soll neue Sichtweisen auf die zum Teil verschwiegene, verklärte und damit oft genug unterdrückte Lebenswirklichkeit ermöglichen – viele Menschen warten darauf!“
Quelle: ELKM (cme)