Recherchen zur Rolle des bisherigen Namensgeber Sibrand Siegert in der NS-Zeit Güstrower "Haus der Kirche" umbenannt

08.07.2024 · Güstrow. Das Haus der Kirche im Herzen von Güstrow wird seit 1960 als Tagungs-, Bildungs- oder Begegnungsstätte der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Mecklenburgs genutzt. Seit 2012 ist es in Trägerschaft des Kirchenkreises Mecklenburg. Jetzt beschloss der mecklenburgische Kirchenkreisrat, dass das Tagungshaus künftig nur den Namen „Haus der Kirche“ führen wird. „Der Namenszusatz Sibrand Siegert entfällt“.

Bereits seit 1924 diente das im 19. Jahrhundert erbaute Fachwerkgebäude als evangelisches Gemeindehaus. In der Zeit des Nationalsozialismus von 1934 bis 1945 war die Adresse im Grünen Winkel 10 das Zentrum der Bekennenden Kirche in Güstrow. Vor diesem Hintergrund wurde das Haus im Jahr 1954 von der Landeskirche nach Sibrand Siegert benannt. Der Theologe war seit 1921 Pastor in Güstrow, später Vertreter der Bekennenden Kirche in Mecklenburg und wurde nach dem Ende des 2. Weltkriegs Landessuperintendent des Kirchenkreises Güstrow.

 

Jetzt beschloss der mecklenburgische Kirchenkreisrat, dass das Tagungshaus künftig nur den Namen „Haus der Kirche“ führen wird. „Der Namenszusatz Sibrand Siegert entfällt“, so die KKR-Vorsitzende, Pröpstin Britta Carstensen. Anlass sei, dass auf Wunsch der Familie Siegert zum Leben des Pastors und Landessuperintendenten wissenschaftliche Recherchen zu dessen Rolle in der Zeit des Nationalsozialismus aufgenommen wurden.

 

Die Rechercheergebnisse hatte die Familie kürzlich dem Kirchenkreisrat zur Verfügung gestellt. Sie zeigen, dass Pastor Siegert zwischen 1941 und 1944 als Kommandeur von Kriegsgefangenen bzw. als stellvertretender Kommandant in zwei Stalags (Kriegsgefangenen-Mannschafts-Stammlager) in Belarus gedient hat. Fest steht, dass in letzteren Lagern tausende jüdische Zivilisten und russische Kriegsgefangene gewaltsam zu Tode kamen. 

 

Aus heutiger Sicht ist Namensgebung nicht mehr angebracht

 

„Wenn auch Pastor Siegerts konkrete Beteiligung an diesen Kriegsverbrechen unklar ist und er sich auch selbst dazu nie geäußert hat, belegen jedoch die herausgehobenen Funktionen, die er in den Lagern bekleidete, seine Mitverantwortung am Geschehen“, heißt es im Beschluss des Kirchenkreisrates und weiter: „Gewiss ist die individuelle Verstrickung von Pastor Siegert als stellvertretender Kommandeur zweier Kriegsgefangenenlager im Kontext der damaligen Lage und der vorherrschenden Anschauungen zu sehen. In der Gesamtwürdigung seiner Verdienste und der zeitgeschichtlichen Einordnung seiner Rolle im 2. Weltkrieg halten wir es aus heutiger Sicht jedoch nicht mehr für angebracht, seinen Namen weiterhin mit dem ,Haus der Kirche´ in Güstrow zu verbinden.“

 

Symposion zur Einordnung der Umbenennung im Herbst

 

Gleichzeitig wird der Kirchenkreis Mecklenburg am 30. November 2024 ins „Haus der Kirche“ zu einem wissenschaftlichen Symposium einladen, „um die Benennung und Umbenennung des Hauses einzuordnen und dies für die interessierte Öffentlichkeit nachvollziehbar zu machen“, informierte Propst Marcus Antonioli, der mit einer AG die Umbenennung reflektiert und die Beschlussvorlage vorbereitetet hatte. Mit der Inhaltlichen Vorbereitung des Symposions seien beauftragt worden: Dr. Stephan Linck (Studienleiter für Erinnerungskultur und Gedenkstättenarbeit bei der Akademie der Nordkirche, Anne Drescher (Historikerin) und Pastor i.R. Klaus-Dieter Kaiser, der früher die Evangelische Akademie leitete.

 

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Quelle: ELKM (cme)