Impulse
Grußwort vom Oberbürgermeister Alexander Badrow

Liebe Stralsunderinnen und Stralsunder, liebe Gäste und Interessierte,
2025 wird gefeiert: 500 Jahre Reformation! Ein halbes Jahrtausend, in dem sich wirklich alles – von Religion und Politik über soziale Strukturen bis hin zum persönlichen Alltag – auf den Kopf stellte.
Martin Luther war zwar nie hier, aber seine Freunde und Förderer, Schüler und Unterstützer trugen Luthers Gedanken bis an den Strelasund, wo seinerzeit schätzungsweise 13.000 Menschen lebten – die meisten vom Seehandel.
Es ging um nichts weniger als die Freiheit des Geistes. Schluss mit dem weltfernen Latein! Endlich verstanden die Leute, was im Gottesdienst überhaupt gesagt wurde und was in der Heiligen Schrift geschrieben stand. Die Bibel auf Niederdeutsch – lingua franca der Hanse – machte jeden selbst verantwortlich für sein Tun und seinen Glauben. Das war sie, die vielzitierte Luther-Power: mehr Mitbestimmung, mehr Teilhabe, mehr Gleichheit, mehr Bildung!
Doch die Reformation war nicht nur ein religiöser, sondern ein gesamtgesellschaftlicher Umbruch, der die Strukturen Stralsunds langfristig prägte. Politisch stärkte sie die Unabhängigkeit von den katholischen Fürsten und dem Bistum in Schwerin. Nach dem Stralsunder Kirchenbrechen – beginnend in St. Nikolai und dann übergreifend auf St. Marien und St. Jakobi – sowie mit der Einführung einer eigenen Kirchen- und Schulordnung übernahm der Stadtrat die klerikalen Institutionen.
Wer die Religion bestimmt, hat die Macht. So setzten die Stralsunder Ratsherren ihre obersten Prädikanten, also Prediger, selbst ein. Die Klöster wurden neuen Nutzungen zugeführt: von Schulen über Zeug- und Armenhäuser bis hin zur Versorgungsanstalt für Frauen. Autonomie statt Abhängigkeit und Autorität – auch dafür steht die Reformation in Stralsund.
Diese Internetset-Seite führt und begleitet Sie durch unser Jubiläumsjahr – randvoll mit Konzerten und Kirchenführungen, Vorträgen und Lesungen sowie Straßenfest und Luthernacht. Es ist gleichermaßen Rückschau auf die Ereignisse des Jahres 1525 und Ausblick auf die Fragen von 2025.
Es dürfte wertvoll sein, sich auf die geistigen Wurzeln unseres heutigen Denkens zu besinnen. Es dürfte anregen, an mancher Stelle neu ins Nachdenken zu kommen und das Leben in unserer Stadt, unseren Kirchen und Gemeinden an dem zu messen, was einst der Rat unserer stolzen Hansestadt beschlossen hat. Es ist ein Moment, um zu reflektieren.
Viel Freude dabei und auf Immerwiedersehen!
Ihr Alexander Badrow
Oberbürgermeister der Hansestadt Stralsund
Grußwort vom Propst Dr. Tobias Sarx
2025 feiern wir in Stralsund Jubiläum. Herzlichen Glückwunsch, liebe Hansestadt!
Gratulation an unsere Vorfahren, die vor 500 Jahren den Mut hatten, eine folgenreiche Entscheidung zu treffen: Sie brachen mit dem alten kirchlichen System und schlossen sich der Reformation an. Im Herzen spürten sie: So wie es momentan läuft, ist es nicht richtig. Was tun? Sie hätten sagen können: Ich fühle mich von der Institution Kirche nicht mehr angesprochen, also will ich mit ihr nichts mehr zu tun haben. Dann hätten sie aber mehr verloren als gewonnen. Zugegeben: Die korrupten kirchlichen Amtsträger jener Zeit hatten viel dafür getan, den christlichen Glauben in Verruf zu bringen. Geistlichen Missbrauch würde man heute den damaligen Ablasshandel nennen. Und Amtsanmaßung, wenn sich kirchliche Würdenträger dazu aufschwangen, Kritikern das Seelenheil abzusprechen.
Die Stralsunder waren klug genug, mit der Abschaffung des kirchlichen Systems den christlichen Glauben nicht gleich mit über Bord zu werfen. Im Gegenteil: Menschen wie Christian Ketelhot, Franz Wessel und Nikolaus Smiterlow erkannten 1525, dass Kirche auch anders geht: Nah bei den Menschen, zum Wohl der Stadt, stützend in allen Lebenslagen. Es war mühsam, die befreiende Kraft des Evangeliums wieder auszugraben. Dankbar nahmen sie Impulse des Wittenberger Reformators Martin Luther auf und übertrugen dessen Prinzipien auf die konkreten Bedürfnisse Stralsunds: Nicht nur die Kirche wurde neu geordnet, sondern auch das Schulwesen und die Armenversorgung. Niemand sollte Hunger leiden, jeder Zugang zu Bildung bekommen. Und alle sollten erkennen: Es gibt einen Gott, der sich um die Bedürfnisse der einzelnen Person kümmert. Die Reformation Stralsunds wurde durch das Wirken Ketelhots, Wessels und Smiterlows zum Vorbild für viele weitere Städte Norddeutschlands.
Gott sei Dank haben die Stralsunder mit der verkrusteten kirchlichen Struktur den Glauben nicht abgeschafft. Auf diese Weise behielten sie ein tragfähiges Fundament für ihr Leben, das auch unvorhergesehenen Stürmen des Lebens standhält. In Gesundheit wie in Krankheit, in Friedenszeiten wie im Krieg, im Mangel wie im Überfluss: Nichts und niemand kann uns scheiden von der Liebe Gottes, die uns in Jesus Christus zugänglich geworden ist. Es lohnt auch heute, über dieses Fundament der eigenen Existenz nachzudenken.
Deshalb lade ich Sie ein, gemeinsam mit der Stadt und den Stralsunder Kirchengemeinden das Jubiläum „500 Jahre Reformation in Stralsund“ zu feiern. Lassen Sie sich inspirieren durch Veranstaltungen verschiedenster Art für Jung und Alt. Manchmal lohnt der Blick zurück in die Geschichte, um die Gegenwart besser verstehen zu lernen und gute Weichen für die Zukunft stellen zu können. Gott segne unser Fest mit dem damit verbundenen gemeinsamen Nachdenken und Vordenken.
Es grüßt Sie herzlich Ihr Propst Dr. Tobias Sarx
Impuls vom Leiter des Stadtarchivs Dr. Dirk Schleinert: 500 Jahre Reformation in Stralsund

Geschichte ist Erinnerungskultur. Die Reformation gehört seit langem dazu, wenn auch nicht bei allen. Schon zum 100. Jahrestag des Thesenanschlags von Martin Luther, der die Reformation auslöste, feierten die Protestanten dieses Ereignis. Das setzte sich in den folgenden Jahrhunderten fort, wenn auch immer unter den bestimmenden Zeichen der jeweiligen Zeit. Man beging aber auch andere Jubiläen im Zusammenhang mit der Reformation, z. B. 1830 den 300. Jahrestag der Augsburgischen Konfession oder „Confessio Augustana“, jener ersten umfassenden Ausformulierung der Glaubensgrundsätze der Lutheraner, die auf dem Augsburger Reichstag von 1530 übergeben worden war. Dieser Reichstag war für Pommern noch auf eine andere Weise von besonderer Bedeutung. Die beiden herzoglichen Brüder Georg I. und Barnim IX. erhielten erstmals die Belehnung mit ihrem Herzogtum durch Kaiser Karl V., nachdem sie sich im Jahr zuvor mit dem Kurfürsten Joachim I. von Brandenburg geeinigt hatten. Wir werden darauf noch zurückkommen, denn das hatte auch Auswirkungen auf die Stralsunder Reformationsgeschichte.
Der englische Reformationshistoriker Arthur Geoffrey Dickens schrieb einmal: „The reformation was an urban event – die Reformation war ein städtisches Ereignis.“ Er wies damit auf zwei bedeutsame Tatsachen innerhalb der Reformationsgeschichte hin:
1. In der zeitlichen Abfolge waren es zunächst nur einige der größeren Städte, in denen sich bereits in den 1520er Jahren die Reformation durchsetzte. Stralsund gehörte mit dazu. Als 1523 Christian Ketelhut und Johannes Kureke Luthers Lehren zu verbreiten begannen, gärte es auch in anderen Städten an der Ostsee, etwa in Danzig, Riga, Rostock und Wismar.
2. Die theologische Auseinandersetzung zwischen den Anhängern Luthers und den Vertretern der alten Amtskirche musste sich mit anderen Konflikten verbinden, um zu der umfassenden Bewegung zu werden, die den neuen Anschauungen zum Erfolg verhalf. Es hätte - bildlich gesprochen - kaum die große Masse der Stralsunder hinter dem Ofen hervorgelockt, wenn sich Christian Ketelhut und der Dominikanermönch Dr. Heinrich Wendt, der nicht nur Erster Pleban an St. Marien war, sondern sich durch päpstlichen Befehl auch Inquisitor und Zerstörer der Ketzer nennen durfte, in ihren Streitgesprächen lediglich auf einen akademischen Diskurs beschränkt hätten. Fragen der Steuerfreiheit des Klerus und allerlei andere tatsächliche und vermeintliche Ungerechtigkeiten spielten eine entscheidende Rolle bei der Dynamisierung des reformatorischen Prozesses in Stralsund. Die erhaltenen Spottlieder beider Parteien belegen, dass nicht nur auf hohem wissenschaftlichem Niveau disputiert wurde, sondern die Masse der Bevölkerung eine derbere Sprache bevorzugte.
Es war ja nicht so, dass sich die Kirche am Vorabend der Reformation in einer allgemeinen Krise befand und alle nur darauf warteten, dass jemand kommt und einschneidende Veränderungen fordert. Das wäre in der Tat die falsche Vorstellung. Die Dokumente des Stadtarchivs legen beredt davon Zeugnis ab, wie verbreitet und beliebt die Lehre von den guten Werken auch bei den Stralsundern war. Stiftungen aller Art, von einzelnen Kerzen und Leuchtern über Seelenmessen, Altarbilder, ganze Altäre bis hin zu Kapellen - je nach Geldbeutel war für alle etwas dabei. Dies bestimmte auch hier den kirchlichen Alltag zu Beginn des 16. Jahrhunderts. Und als der Bildersturm am 10. April 1525 über die Stralsunder Kirchen und Klöster hinwegfegte, waren viele Besitzer von Stiftungen vor Ort, um zu retten, was noch zu retten war. Die heute noch vorhandene Ausstattung von St. Nikolai zeigt uns, dass vieles gerettet wurde. Das wäre ganz sicher nicht geschehen, wenn die Besitzer nicht einen persönlichen Bezug zu ihren Stiftungen gehabt hätten.
So verwundert es auch nicht, dass die Vertreter der neuen Lehre, kaum, dass sie den Sieg errungen hatten, die Anhänger der alten Kirche mit der gleichen Konsequenz und Härte verfolgten, wie sie vorher verfolgt wurden. Die zur Neuordnung der kirchlichen Verhältnisse verfasste Kirchen- und Schulordnung vom 5. November 1525 nimmt an mehreren Stellen darauf Bezug.
In Stralsund, aber nicht nur hier, ist die Neuordnung der kirchlichen Verhältnisse untrennbar mit weiteren sozialen Unruhen verbunden, die zur Schaffung einer ersten echten bürgerschaftlichen Vertretung führten. Ende 1524 wurde dem bis dahin allein regierenden Rat der „Ausschuss der Achtundvierzig“ an die Seite gestellt. Dieser und der teilweise personell erneuerte Rat beschlossen dann - unter dem Eindruck des Kirchenbrechens vom 10. April 1525 und der nachfolgenden Ereignisse - die Einführung der lutherischen Lehre und die Ausweisung der in der Stadt verbliebenen katholischen Geistlichen. Mit der bereits erwähnten Kirchen- und Schulordnung wurde das Kirchen- und Schulwesen neu geregelt.
Aber die vertriebenen Geistlichen gaben nicht so schnell auf. Ihr vornehmster Amtsträger, der Oberkirchenherr Hippolytus Steinwehr, reichte Klage beim Reichskammergericht ein und bekam 1529 Recht. Allein, es fehlte jemand, der das Urteil auch durchsetzen konnte. Die pommerschen Herzöge, die das eigentlich hätten tun können und sollen, zumal Georg I. ein treuer Anhänger der alten Kirche war, hatten mit anderen Dingen zu tun. Seit Jahren lagen sie im Streit mit dem Kurfürsten von Brandenburg um das beiderseitige staatsrechtliche Verhältnis zueinander, ein Streit, der 1528/29 zum Krieg zu eskalieren drohte. Nutznießer waren der Stralsunder Rat und die von ihm geschaffene neue evangelische Kirche in der Stadt.
Als Jahre später die Reformation in ganz Pommern eingeführt wurde und unter Anleitung von Johannes Bugenhagen eine Visitation aller kirchlichen Einrichtungen durchgeführt werden sollte, verweigerte sich Stralsund dieser mit dem Hinweis, dass man ja schon selbst alles geregelt habe. Und auch in der Folgezeit konnte sich unsere Stadt bis in das 19. Jahrhundert innerhalb der pommerschen Landeskirche ein großes Maß an Selbstständigkeit sichern. Man hatte einen eigenen Superintendenten, der in den ersten Jahrzehnten besser bezahlt wurde als sein Vorgesetzter, der Generalsuperintendent von Pommern-Wolgast, ein eigenes geistliches Ministerium als Verwaltungsbehörde und ein eigenes Konsistorium als Gericht in Kirchen- und Schulangelegenheiten.
Die Entscheidungen des Rates und des Achtundvierziger-Ausschusses von 1525 hatten daran maßgeblichen Anteil, denn keine Reformation ohne die Unterstützung der weltlichen Herrschaft, cuius regio, eius religio (=wem das Land gehört, der bestimmt die Religion), wie es der Greifswalder Jurist Joachim Stephani zu Beginn des 17. Jahrhunderts formulierte.
Das war zwar der auf den Punkt gebrachte Grundsatz des Augsburger Religionsfriedens von 1555, er passt aber auch haargenau auf die Stralsunder Verhältnisse.