Neues Leben im AlterKurzgeschichten
Verborgene Schätze
Manchmal bleiben irgendwelche Koffer auf den Laufbändern der Flughäfen stehen. Es rührt mich immer an, wenn dann so ein einsamer Koffer noch Runde um Runde fährt, während die Menschentrauben sich verlaufen. Was dann damit wohl geschieht? Was da wohl drin ist?
Es könnten Schätze sein, schöne Kleider, Mitbringsel, in wunderbares Geschenkpapier
eingewickelt für die Gastgeber…, ja, was könnte in so einem Koffer alles verborgen sein?
In einem alten Märchenbuch gab es die Geschichte vom fliegenden Koffer, wo ein junger
Mann die orientalische Prinzessin in ihrem Turm besuchen konnte. Leider brannte der Koffer zum Schluss ab….
Einsame, vergessene Koffer. Immer wieder kommen mir die Lautsprecheransagen auf den Bahnhöfen und Flughäfen ins Ohr, - weil da ja versteckte Bomben drin sein könnten.
Als ich mit meinem Onkel Volkmar 2003 nach Armenien flog, wurde eine Halle im Pariser Flughafen Charles de Gaulle gesperrt wegen einer solchen Bombendrohung. Soldaten liefen mit Maschinengewehren herum. Gott sei Dank war alles nur ein Missverständnis.
Vergessene Koffer tragen in sich verborgene Schätze.
Einmal entdeckte ein Ehepaar einen solchen Koffer – einen Überseekoffer – in einem
Magazin eines Museums. Sie öffneten ihn und fanden ihn voll von Zigarrenkisten mit den
abenteuerlichsten Aufdrucken und darin säuberlich in Zetteltütchen verpackt Schmetterlinge aus Kolumbien. Der Schmetterlingsforscher Arnold Schultze (1875 -1948) hatte sie gesammelt und an das Naturkundemuseum Berlin vorausgeschickt. Er und seine Frau erlitten dann 1939 Schiffbruch und blieben dann auf Madeira, wo er 1948 starb. Die Aufkleber der Zigarrenkisten, die zu Tütchen gefalteten Zettel und die Schmetterlinge erzählen von Abenteuern, von einem bunten, geheimnisvollen Leben in den tiefen Wäldern Kolumbiens.
Und so lädt dieser vergessene Koffer auch nach Jahrzehnten noch zum Träumen ein.
Ganz besonders tiefsinnig ist die Geschichte von dem verborgenen Schatz, den der sterbende Vater seinen Söhnen versprach. Es war nicht eine leichtfertig geschenkte Gabe, ein Erbe, sondern ein Schatz, den sie sich mühsam erarbeiten und verdienen mussten:
Gottfried August Bürger (Jocosus Hilarius)
Die Schatzgräber
Ein Winzer, der am Tode lag,
Rief seine Kinder an und sprach:
»In unserm Weinberg liegt ein Schatz,
Grabt nur danach!« – »An welchem Platz?«
Schrie alles laut den Vater an.
»Grabt nur!« – O weh! da starb der Mann.
Kaum war der Alte beigeschafft,
So grub man nach aus Leibeskraft.
Mit Hacke, Karst und Spaten ward
Der Weinberg um und um gescharrt.
Da war kein Kloß, der ruhig blieb;
Man warf die Erde gar durchs Sieb,
Und zog die Harken kreuz und quer
Nach jedem Steinchen hin und her.
Allein da ward kein Schatz verspürt
Und jeder hielt sich angeführt.
Doch kaum erschien das nächste Jahr,
So nahm man mit Erstaunen wahr,
Daß jede Rebe dreifach trug.
Da wurden erst die Söhne klug,
Und gruben nun Jahr ein, Jahr aus
Des Schatzes immer mehr heraus.
Katharina Seuffert