Neues Leben im AlterKurzgeschichten

Adventsgedanken

In der Adventszeit erinnerte sich Pfarrer Christoph in Halle an ein Weihnachtslied, das er
vor Jahren im traditionellen Weihnachtskonzert der Schiersteiner Kantorei gehört hatte.
Die Rokokokirche war mit Kerzen erleuchtet, das Tannengrün duftete, die Chorsänger
sangen voller Freude. Aber was sangen sie da? "Linda noite, linda noite de Natal." Das sei ein portugiesisches Weihnachtslied wie "Stille Nacht, heilige Nacht", erklärte der Kantor.

 

Pfarrer Christoph ging das Lied nicht mehr aus dem Kopf. Er schrieb nach Wiesbaden und erbat sich die Noten für den vierstimmigen Satz. Das Lied stamme aus dem Algarve
(Südportugal) und sei von einem spanischen Musiker entdeckt worden und nach
Deutschland gekommen.

"Lass uns das singen, es ist wunderschön", sagte der Pfarrer in Halle zu seinem Chorleiter, der die Begeisterung nicht so recht teilen konnte. "Naja, wenn ich wüsste, was das auf Deutsch heißt, dann vielleicht…"

 

Das ist eine einfache Sache, dachte der Pfarrer und begann mit der Übersetzung. Aber er
stolperte gleich über die ersten Wörter: Linda noite.

Das heißt eigentlich: die “schöne” Nacht. Wieso schön? Das sagt man im Deutschen nicht, höchstens “schöne Bescherung”.
Vielleicht passt am besten “frohe, stille, heilige, wunderschöne Weihe - Nacht”, verkürzt
auf vier Silben “Frohe Weihnacht”, aber das ist leider doch sehr abgegriffen.
Und dann wird die schöne Nacht sogar als Nacht der großen Fröhlichkeit bezeichnet,
dabei weiß doch jeder, dass damals Not und bittere Armut herrschten und von ewiger
Freude keine Spur war.

 

In der 2. Strophe geht Josef Feuer holen und lässt Maria betend allein zurück. Das passt
gar nicht in unser Verständnis von der Nacht der Geburt. Wieso holt er Feuer und woher
und wieso allein, er sollte Maria doch jetzt beistehen!
Doch siehe da, als er zurückkommt (Hat er denn nun Feuer oder nicht? Also
wahrscheinlich hat er, aber es ist eh zu spät.), ist das Kind da.

 

Und das ist das Weihnachtswunder. Josef braucht nur den Rücken zu kehren, dann
passiert das Wunder. Die portugiesischen Liederdichter haben sich das ganz einfach
gemacht: Als Josef heimkehrt, ist der Gottessohn, das Christkind, geboren. Halleluja.

 

Danach klopfen die beiden dann an alle Türen – Josef mit dem neugeborenen Kind im
Arm und mit der Wöchnerin? Also, das ist chronologisch nicht nachvollziehbar.

Die Geburt fand dann also unterwegs auf der Straße statt? Und danach wanderten sie weiter??
Naja, sie fanden auf jeden Fall eine Herberge, eine Hütte, in der ein müder Ochse schlief.
So heißt es da. Und das ist nicht zweideutig gemeint. Aber es sollen doch Ochs und Esel
laut biblischer Prophetie gewesen sein! In Portugal besingen sie also nur den müden
Ochsen.

 

Viele Stunden bastelte der Pfarrer an einer gereimten Fassung, sang immer wieder mit
seiner Frau und den Freunden die beschwingte Melodie und fand das Lied von Tag zu Tag schöner.
Alle wurden davon angesteckt, und die Emigranten (Gastarbeiter sind sie heute eigentlich nicht mehr) nahmen das deutsch gewordene Lied in den Weihnachtsferien mit nach Portugal. Dort sangen sie in ihren Kirchengemeinden und Chören ihr fröhliches "Linda noite"-Lied.

 

"Das ist ja unser Lied!", staunten die portugiesischen Sänger, so als wenn man einen
Heimkehrer nach seiner langen Abwesenheit wieder erkennt.

Und voller Begeisterung sangen sie, wie Portugiesen immer singen: laut, kräftig und aus vollem Herzen.

 

Frohe Weihnacht überall – Linda noite de Natal
In der schönen Heilgen Weihnacht, in der Nacht der großen Freud
Wandert Josef mit Maria übers Heilge Land so weit.

 

Refrain: Frohe Weihnacht, Frohe Weihnacht, Frohe Weihnacht überall,
Linda noite, linda noite, linda noite de Natal.

 

Josef holte Holz fürs Feuer und Maria betet fromm,
als der Josef wiederkehrte, war geborn der Gottessohn.
Ach, sie klopften an die Türen, aber niemand ließ sie ein,
und so blieben sie im Stalle dort bei Ochs und Eselein.

 

Barbara Seuffert