Kulturexpertin der Nordkirche im Gespräch Antje Heling-Grewolls: „Wir müssen die Schätze unserer Kirche als Glaubenszeugnisse bewahren“
02.10.2015 · Greifswald/Schwerin. Dr. Antje Heling-Grewolls ist seit April Referentin für Kunst- und Kulturgut der Nordkirche. Im Gespräch erzählt sie über Kirchenschätze, die Kunst- und Kulturlandschaft der Nordkirche und die heutige Rolle der Kirchenpädagogik.
In Greifswald tagt seit Donnerstag (30. September) die Arbeitsgemeinschaft Inventarisierung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Die Kunstgutverantwortlichen aus fast allen Landeskirchen tauschen sich aus zu Fragen der Inventarisierung, Restaurierung von liturgischem Gerät, Beratung der Küster zur Pflege und Aufbewahrung, Diebstahlsicherung in Offenen Kirchen, Fahndung nach Diebesgut, Ausleihen von Kunstwerken an Museen und Ausstellungen, Wert- und Besitzklärung.
Eingeladen dazu hat die Kunsthistorikerin Dr. Antje Heling-Grewolls. Seit April ist sie Referentin für die Kunst- und Kulturgüter der Nordkirche. Die 46-Jährige ist in Schwerin aufgewachsen und studierte in Greifswald und Kiel Kunstgeschichte, Theologie und Philosophie. Promoviert wurde sie zu privaten Kapellen an mittelalterlichen Kirchen des südlichen Ostseeraums. Sie wirkte mit an Ausstellungen zur kirchlichen Kunst u.a. in Kiel („Nordelbiens Schätze“, 2000) und Wittenberg und inventarisierte Kunstgut im Kieler Landeskirchenamt. Seit 2006 ist sie Referentin bei kirchenpädagogischen Aus- und Fortbildungen des Pädagogisch-Theologischen Instituts (PTI) der Nordkirche.
Woher kommt Ihr Interesse an sakraler Kunst?
Antje Heling-Grewolls: Ich habe zu Beginn meines Studiums in Greifswald Professor Nikolaus Zaske gehört (Anm. der Redaktion: der Kunsthistoriker Nikolaus Zaske ist 88-jährig vor einem dreiviertel Jahr gestorben). Der hat mich mit seiner Begeisterung für die gotischen Backsteinkirchen angesteckt. Außerdem wurde ich als Kind schon „infiziert“: Meine Mutter hat in der Landesbibliothek im Kreuzgang des Schweriner Doms gearbeitet. Sie saß in einem Büro mit gotischem Gewölbe und Spitzbogenfenstern inmitten alter Bücher – für mich ein wunderbarer Ort.
Für welche Schätze sind Sie als „Referentin für Kunst- und Kulturgut“ denn zuständig?
Eigentlich sind damit die beweglichen Kunstgegenstände in einer Kirche gemeint, es können aber durchaus auch Glasfenster sein oder eine Wandbemalung. Für Orgeln, Glocken und Uhren haben wir eigene Sachverständige. Im Vordergrund stehen für mich die Vasa Sacra - liturgische Geräte wie Kelch, Taufschale oder Altarkreuz. Ich berate die Kirchengemeinden, wie sie diese pflegen, restaurieren oder neu anschaffen. Ansonsten unterstütze ich bei Fragen zur Versicherung von Kunstgut und zu Leihverträgen mit Museen und arbeite mit den Ämtern für Denkmalpflege zusammen.
Gerade an den Vasa Sacra wird das Besondere meiner Aufgabe deutlich: Unsere Schätze werden nicht wie im Museum ausgestellt, sondern sind weiterhin in Gebrauch, sie sind Werkzeuge des Glaubens. Luther sagt in einer seiner 95 Thesen: „Der wahre Schatz der Kirche ist das hochheilige Evangelium von der Herrlichkeit und Gnade Gottes“. Unsere Kunstschätze helfen uns dabei, als eine Art ‚geronnener Glaube‘ dies Unsichtbare zu ergreifen. Und da stehen wir in einem Traditionsstrom: Wir haben die Aufgabe, zu bewahren, zu pflegen, und die Schätze an die nächsten Generationen weiter zu geben – sie sind Teil unserer Identität.
Die Nordkirche ist vor drei Jahren aus drei Landeskirchen zusammengewachsen. Wachsen da auch unterschiedliche Kunstlandschaften zusammen?
Eigentlich ist es sogar umgekehrt: Aus einer gemeinsamen Kunstlandschaft ist vor drei Jahren auch eine gemeinsame Kirche geworden. Das Gebiet der Nordkirche hat kunst- und kulturgeschichtlich viele Gemeinsamkeiten: Aus der Hansezeit haben wir im gesamten südlichen Ostseeraum die Backsteinarchitektur. Von Angeln bis Anklam gibt es gotische Flügelretabel, also geschnitzte und bemalte Altaraufsätze. Die drei Sprengel der Nordkirche vereint eine lange, gemeinsame protestantische Geschichte und das große Glück, dass kaum ein Bildersturm stattgefunden hat. Die bewahrende Kraft des Luthertums gegenüber den mittelalterlichen Kunstwerken müssen wir anerkennen.
Der augenfälligste Unterschied: In der Nachkriegszeit gab es in Nordelbien das Ziel, dass jeder in seiner unmittelbaren Nähe eine Kirche vorfinden sollte, was zu einem Kirchenbauboom in den 1950er und 1960er Jahren führte. Diese neueren Kirchen haben Kunstgut aus ihrer Bauzeit, das zum Teil nicht denkmalgeschützt oder erfasst ist. Doch nur, wenn wir Fotos und eine genaue Beschreibung unserer Kirchenschätze haben, haben wir einen Nachweis etwa bei Diebstahl oder Pfarrübergaben.
Was genau heißt „Inventarisieren“?
Beim Inventarisieren machen wir Detailfotos, erfassen die Maße, das Material, den Künstler, etwaige Inschriften und den Zustands. Häufig stellt sich bei Inventarisierungen auch heraus, dass etwa eine Kanne restaurierungsbedürftig ist. Geplant ist eine zentrale Datenbank für die gesamte Nordkirche. Das geht allerdings nicht von heute auf morgen, sondern ist eine langfristige Aufgabe. Hilfreich für mich ist, wenn ich auf bereits vorhandene Erfassungen zurückgreifen kann: So haben die Mecklenburger etwa ihre Kunstschätze zu sieben Achteln erfasst. In Schleswig-Holstein und Hamburg allerdings ist noch viel zu bearbeiten. Und es gibt engagierte Hobbyhistoriker, die viel Aufmerksamkeit und Zeit für die Kunstwerke ihrer Kirchengemeinde aufwenden.
Seit 2006 sind Sie Referentin auf kirchenpädagogischen Aus- und Fortbildungen des PTI Hamburg. Welche Rolle spielt Kirchenpädagogik heute?
Es gibt so viel Schönes und Interessantes in unseren Kirchen zu entdecken. Ein Gang durch eine Kirche ist fast immer auch ein Gang durch die Kunstgeschichte und die Kirchengeschichte. Gleichzeitig ist jede Kirche einzigartig und erzählt ihre eigenen Geschichten. Das fasziniert mich und das möchte ich weitergeben. Deshalb schulen wir in der Nordkirche Ehrenamtliche und Hauptamtliche zu Kirchenführern, der nächste Kurs startet im Frühjahr 2016. Dabei haben wir die Erfahrung gemacht, dass diese Kurse auch Menschen anziehen, die nicht zu einer Kirchengemeinde gehören, aber ein großes Interesse an Geschichte haben und eng mit ihrem Heimatort verbunden sind. Darin sehe ich eine große Chance zur Verkündigung. Eltern sollten sich auch nicht scheuen, ihren Kindern schon früh Kirchen zu zeigen.
Quelle: Nordkirche (ak)