Liturgie

Interview mit Bischof Tilman Jeremias:

 

Was versteht man unter Liturgie?

 

Bischof Jeremias: Liturgie nach dem altgriechischen „leiturgeia“, also Dienst aller, meint zunächst einfach den Gottesdienst.

 

Mit diesem Fachbegriff bezeichnen wir die Gesamtheit dessen, was einen Gottesdienst ausmacht und im engeren Verständnis die immer wiederkehrenden Teile im Ablauf, also etwa Gebete, Lesungen und Gesänge. Wobei „Gottesdienst“ für mich ein Wechselspiel in mehrerlei Hinsicht ist: Wir dienen Gott, wir rufen ihn an im Gebet in den Liedern. Und Gott „dient“ uns, er beschenkt uns: Wir hören aus der Heiligen Schrift, wir werden gestärkt durch die Gegenwart Christi im Abendmahl. Wir geben und empfangen. Liturgie ist beides.

 

Wichtig ist mir, dass Liturgie nicht bloß einen Ablauf von rituellen Elementen meint: Gottesdienst ist ein ganzheitliches Geschehen, deshalb gehört zur Liturgie ein Raum, der möglichst die Sammlung unterstützt und der auf Gott hin ausgerichtet ist, also die sogenannte „Ostung“ der Kirche, die Ausrichtung zum Altar hin und damit nach Jerusalem oder zur aufgehenden Sonne. Wir wenden uns auch körperlich zu Gott hin. Das bilden wir ab durch Gebetshaltungen. Dazu gehören aber auch die Ausstattung dieses Raums und besondere Gewänder.

All dieses, die Sprache, die Gewänder, auch der Raum deuten darauf hin, dass etwas geschieht, das sich abhebt vom Alltäglichen.

       

Ist diese Liturgie, die wir in der Kirche erleben, eine christliche Erfindung?

 

Bischof Jeremias: Wir haben sämtliche Elemente des Gottesdienstes aus dem jüdischen Gottesdienst. Die Anrufung Gottes, das Beten, die Verlesung der Heiligen Schrift, das Beten der Psalmen, auch einzelne hebräische Rufe wir Halleluja und Amen haben wir übernommen. Wir loben Gott mit Ausdrücken des jüdischen Gottesdienstes. Wir feiern, wie Jesus in der Synagoge gefeiert hat und sind darüber mit Jüdinnen und Juden verbunden.

 

Warum erscheint diese Liturgie bei uns Protestanten etwas karger als der katholische oder orthodoxe Gottesdienst?

 

Bischof Jeremias: Es gibt auch im evangelischen Bereich große Unterschiede. Martin Luther hat die Messe geschätzt und die sogenannte Deutsche Messe, also eine Messe nur in der Landessprache hochgehalten. Gleichzeitig sind in der Schweiz und den oberdeutschen Städten liturgische Elemente zurückgedrängt worden, um sich ganz auf das Hören des Wortes Gottes zu konzentrieren.

 

In der heutigen Zeit der Ökumene holen wir uns manches liturgische Element „zurück“, indem wir beispielsweise häufiger das Abendmahl feiern, die Osternacht wiederentdeckt haben. Neben dem schwarzen Talar tragen Pastorinnen und Pastoren zunehmend auch die Albe und Stolen in den liturgischen Farben des Kirchenjahres. Auch die Stundengebete werden wiederentdeckt.

 

Kann so eine immer wiederkehrende Liturgie nicht auch langweilen?

 

Im Gegenteil: Wir merken, wie sehr Rituale, Gesten, Bewegungen Glaubenserfahrungen ermöglichen. Es gibt gegenwärtig eine Sehnsucht nach Erfahrungen jenseits von Reden und Hören, was übrigens guter lutherischer Tradition entspricht. Dieser hat immer wieder betont, dass das Wort Fleisch oder sichtbar geworden ist – verbum visibile - und dass deshalb Sakrament und Wort gleich gelten sollen. Für mich zeigt sich das besonders in der Liturgie der Osternacht: Wir sammeln uns vor der Kirche und ziehen dann in den dunklen Kirchenraum ein. So kommen wir aus dem Dunkel der Todesnacht und versammeln uns, wie auch die Frauen der Ostergeschichte im Morgengrauen zum Grab gegangen sind. Die Osterkerzen erhellen den Kirchenraum und während der Gesänge wird es auch draußen zunehmend heller, wir erinnern uns an unsere Taufe und feiern anschließend das Leben bei einem guten Frühstück.

 

Fühlen sich Menschen, die damit nicht aufgewachsen sind, nicht erst einmal fremd in der Kirche, wenn sie so eine Liturgie miterleben?

 

Eine Fremdheitserfahrung kann es geben. Ich glaube aber, dass die Liturgie für sich spricht, auch ohne erklärt zu werden jedes Mal. Ich fände dagegen eine pädagogische Liturgie problematisch, also wenn ich den gesamten Gottesdienst an die Hand genommen und mir parallel alles erklärt würde. Die Fremdheit der Raumerfahrung und dessen, was da passiert, ist ein wesentliches Element des Gottesdienstes selbst. Es kann nicht das Ziel sein, dass Gottesdienst zur weiteren Alltagserfahrung wird. Die Verwohnzimmerung oder Einebnung sehe ich als Gefahr für den Gottesdienst. Auch für Menschen, die regelmäßig zur Kirche kommen, soll der die Feier des Gottesdienstes mit ihren tiefen und reichen liturgischen Elementen anders bleiben als Alltag.

Vorschlag

 

Bischof Tilman Jeremias wendet sich mit einer Bitte an die Kirchengemeinderäte und die Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusiker im Sprengel:

 

Seit zehn Jahren sind wir nun gemeinsam in der Nordkirche unterwegs. Ebenso lange bilden unser Evangelisch-Lutherischer Kirchenkreis Mecklenburg und unser Pommerscher Evangelischer Kirchenkreis einen Sprengel dieser Landeskirche. In unserem Sprengel werden erfreulich viele Arbeitsbereiche gemeinsam verantwortet und gestaltet, zum Teil schon vor Gründung der Nordkirche. Diese bewährte Zusammenarbeit stärkt die Stimme des ostdeutschen Teils unserer Nordkirche mit seiner besonderen Situation, seinen Traditionen und Herausforderungen. 

 

Darum möchte ich Ihnen heute einen Vorschlag unterbreiten, wie wir diese erfreulich gewachsenen Gemeinsamkeiten auch liturgisch zum Ausdruck bringen können. Als ehemalige Landeskirchen mit lutherischer Tradition in Mecklenburg und Anbindung an die Evangelische Kirche der Union in Pommern haben wir leicht abweichende Liturgien in unseren Gottesdiensten. Gemeinsam mit den Pastorinnen und Pastoren bitte ich die Kirchengemeinderäte, jeweils eine kleine Änderung in der Liturgie als Zeichen der Gemeinsamkeit im Sprengel mit Ihren Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusikern zu besprechen und deren Einführung zu erwägen:


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