Die monatliche Kolumne von Flüchtlingspastor Walter BartelsMai 2017: Arbeit ist nur das halbe Leben
Ob einer dazugehört; wie eine sich als Teil eines Ganzen empfinden kann, beschäftigt die Kirche seit ihren Anfängen. Aber es ist nicht nur ihr Thema; es ist eine kritische Frage für alle Groß-Gruppen. Paulus hätte sie damals in Korinth nicht erörtert, wenn das Ganze und die Teile, der 'Leib und die Glieder' (1 Kor 12) damals so problemlos zusammengestimmt hätten.
Der DGB nennt als Motto für den diesjährigen 1. Mai: 'Wir sind viele. Wir sind eins'. Klingt nicht schlecht, aber wer ist 'wir'? Sind damit gewerkschaftlich organisierte Mitglieder gemeint oder auch diejenigen, die ihr neues Leben organisieren müssen nach all den Fluchtstrecken; die eine Ausbildung machen, sich etwas aufbauen möchten; die ihre Zeit nicht im 'Wartesaal der Zukunft' vertun wollen?
Niemand sagt, daß das einfach sei. Ich höre aber auch, 'die' sollen sich erstmal hinten anstellen statt nur Forderungen zu stellen. Aber stellt einer 'nur Forderungen', wenn er Arbeit finden möchte oder einen Ausbildungsplatz; wenn sie auf eigenen Füßen stehen möchte und sich dafür anstrengt, sogar schon gut deutsch kann?
D. erzählt, daß er neulich zum Personalchef sollte. Der wollte wissen, wie es ihm so gehe in dem großen Betrieb in Wittenburg. Dort macht D. eine dreijährige Lehre. Schon toll, wie gut er deutsch spricht und daß er diese Chance bekommen hat. Das hat auch mit seinem Abschluß in Ernährungswissenschaften zu tun. Aus dem Iran mußte er weg, nachdem er dort für sich den christlichen Glauben entdeckt hatte und sich taufen ließ. Zum 'Wir' seiner Familie gehört er nur noch indirekt und verborgen. Das ist kein kleiner Schmerz. In Parchim hatte er Anschluß in einer Kirchengemeinde gefunden und ist voller Dank für das, was er an Unterstützung erfahren hat. Nun geht er jeden Tag in die Firma und muß sich eine neues 'Wir' suchen und unter den vielen KollegInnen zurechtkommen.
Der Personalchef will wissen, wie es D. geht. Gut, sagt er. Er sagt nicht, daß er selten mal ins Gespräch einbezogen, angesprochen, nach sich gefragt oder gar mal eingeladen wird. An der Sprache liegt es nicht. Nach der Arbeit geht er zurück in seine Unterkunft, ein sehr einfaches Zimmer. Ich bin sehr berührt von seinem freundlichen Auftreten in dieser kargen Umgebung, von seiner mentalen Stärke. Am Wochenende fährt er öfter nach Parchim, wo er Leute kennt und bekannt ist. Diesmal, vor dem 1.Mai hat ihn ein Mitschüler aus der Berufsschule nach Warnemünde eingeladen. Er strahlt, als er das erzählt.
Damit ein vereinzeltes Ich auch ein 'Wir'-Gefühl bekommt; damit 'wir' nicht nur eine Gruppe von 'Ich'-AG's sind, braucht es oft so wenig: was das ist, muß man doch wirklich nicht aufzählen. Und es kostet meistens nichts, jedenfalls kein Geld. Kostbar daran ist etwas Anderes; du weißt schon, was.
Pastor Walter Bartels