Die monatliche Kolumne von Flüchtlingspastor Walter BartelsJuni 2017: Eine Frage auch der Vernunft
Die Frage ist ja nicht, ob die Einladung an Obama und Merkel ein Akt von Wahlkampfhilfe war. PolitikerInnen aller Couleur auf dem Kirchentag dominieren schon lange die Berichterstattung und die Bilder des Kirchentags. Fraglich ist eher, ob ein solches 'Format' mit 80.000 Leuten mehr sein kann als ein promi-fixierter Smalltalk.
Der moderierende Bischof Bedford-Strohm hat versucht, mehr draus zu machen. Er bekomme viele Briefe, berichtete er, "von Menschen, die sich engagiert haben; die sich intensiv, mit viel Empathie um Flüchtlinge gekümmert haben; die geholfen haben, dass sie integriert werden; dass sie Deutsch lernen können", und viele von denen seien jetzt von Abschiebung bedroht. Viel Panik und Sorge gebe es um Menschen, "die in ihren jeweiligen Kontexten Heimat gefunden haben; die Jobs haben; von denen der Handwerksmeister sagt: Ich brauche ihn." Deshalb könnten viele der Engagierten "nicht verstehen, warum es die Politik nicht schafft, flexible Regelungen zu finden, damit solche Leute bleiben können, von denen alle wollen, dass sie bleiben."
Klare Anfrage. Die Antwort der Kanzlerin kann man auf ihrer Website nachlesen, auch den ihr beispringenden Kommentar des amerikanischen Gastes. Beide gehen auf die Frage des Bischofs kaum ein. Eine Frau, die mir öfter von 'ihrem' Flüchtling erzählt, zuckte mit den Schulter: "Was hast du denn erwartet?"
Wenigstens dies: ein Stück schlichter Vernunft, wenn schon das menschliche Engagement so Vieler so wenig zählt und wiegt. Neben der um sich greifenden Angst vor der Abschiebung auf der einen Seite geht es andrerseits ja auch um eine unglaubliche Verschleuderung von Ressourcen; von Energien derer, die sich helfend, organisierend engagieren; auch derer, die sich betrieblich für Perspektiven einsetzen. Was ist nicht bereits alles in Unterkunft und Versorgung, in Integrations- und Deutschkurse investiert worden; in Praktika, Ausbildung und Förderung Ungelernter – von den gut Qualifizierten ganz zu schweigen. Die Mengen an Zeit, Geduld, Einfühlung, Hoffnung, Mühe, Knowhow der Beteiligten dürfen doch nicht ins Leere investiert sein; keine Gesellschaft kann sich das leisten, ohne Frust und Demotivierung zu erzeugen. Was 'die Flüchtlingspolitik kostet', ist eine ökonomische Frage auch im weiteren Sinne: die 'human ressources' müssen auch mit einbezogen werden, wenn realistisch gerechnet werden soll.
Vielleicht klingt solche 'Kalkulation' merkwürdig; gerade Engagierte und Ehrenamtliche 'rechnen' eher selten ihren Aufwand an Zeit, Mühe und Geld vor – es sei denn, sie fühlen sich vom Zweifel am Sinn ihres Tuns attackiert. Daß die Hoffnungen der einen und die Mühen der anderen Menschen konstruktiv und zukunftsträchtig aufgenommen werden, kann man schon verlangen: auch in, ja, gerade in Wahlkampfzeiten.
Pastor Walter Bartels