Rede und arbeite In Neustadt-Glewe entstehen Holzskulpturen für den Kirchenplatz

Von Marion Wulf-Nixdorf

Der Bildhauer Christian Wetzel zeigt Doris Wehring (re.) und der zehnjährigen Jule Hecht, wie man das Schnitzeisen richtig hält.

Foto: M. W.-Niixdorf

11.05.2014 · Neustadt-Glewe. Noch sieht der Platz neben der Kirche in Neustadt-Glewe grün, leer und langweilig aus. Ab Pfingsten aber werden dort fünf Holzskulpturen stehen – angefertigt von Kindern und Erwachsenen aus Neustadt-Glewe, Wittenförden und Dümmer, jeweils zu zweit, unter der Anleitung von Holzbildhauer Christoph Wetzel aus Oranienburg. Am Reformationstag sollen die Skulpturen aus Pappel-Holz, das die Stadt kostenfrei zur Verfügung stellte, versteigert werden.

Jede Woche dienstags gegen 16.30 Uhr kommen sie in den Burginnenhof: Sechs männliche Hobbykünstler und vier weibliche, aus der Altstadt, dem Plattenbau und Nachwendehäusern. Schüler, noch im Beruf Stehende und Rentner. Manche kommen sogar zusätzlich zu dem wöchentlich verabredeten Termin zum Arbeiten. Mitte April wurde an drei hintereinander liegenden Tagen gearbeitet, vormittags zwei Stunden, Mittagessen gab es in der Kirche, nachmittags zwei Stunden.

Die unterschiedlichsten Menschen zusammenzubringen – das war der Ansatz von Silke Draeger, seit 2006 Pastorin in der Kirchengemeinde Neustadt- Glewe. Drei Jahre lang war das sogenannte VolxMobil, eine mobile Einrichtung der Evangelischen Jugend, in der Stadt und arbeitete mit Kindern und Jugendlichen. Als die Projektzeit um war, stellte die Stadt mit Liane Hildebrandt eine Sozialarbeiterin an, die die Arbeit fortsetzen soll. Daran knüpfte die Kirchengemeinde an und suchte nach weiteren Möglichkeiten für gutes Zusammenleben in der Kommune. „Erst durch die Arbeit lernen sich Menschen näher kennen, so werden Brücken geschlagen, die helfen in der Arbeit an einem gemeinsamen Ziel generationenübergreifend Verständnis und Toleranz füreinander zu entwickeln“, sagt die Pastorin. Außerdem lernen die meisten so Kirche kennen – durch die von der Pastorin vorgeschlagenen Themen, für die jeder seine eigenen Inhalte finden muss. Und durch die Pastorin selbst.

Der erste Versuch eines solchen Projektes schlug fehl, da klappte es mit dem Trägerverein nicht. Aber jetzt, im zweiten Anlauf und mit dem Förderverein der Kirche als Träger, nehmen die Skulpturen Gestalt an. Bis hierher war es ein langer Weg: Mit Flyern, auf dem Weihnachtsmarkt, im Amtsanzeiger wurde für das Projekt „Rede und arbeite“ geworben. Dass Kirchenmenschen dabei sofort die alte Mönchsregel ora et labora – „bete und arbeite“ – in den Sinn kommt, ist dabei sicher nicht ganz ungewollt. Bildhauer Wetzel zumindest meint, dies schwirre ihm immerzu im Kopf herum. Es fügte sich, dass genau zehn Menschen sich anmeldeten für das Projekt – niemand musste nach Hause geschickt werden – „ein Gottesgeschenk“, sagt Pastorin Draeger.

Jüngere Männer haben keine Zeit, sagt sie mit Blick auf die fünf Erwachsenen, die sich hier gefunden haben. Aber Ältere – und die kommen nun nicht nur aus Neustadt-Glewe, sondern sogar ein Rentner, ehemaliger Tischler aus Dümmer, ein anderer aus Wittenförden. Alle fünf Erwachsenen, Männer wie Frauen, haben handwerkliches Geschick. Auch ein Junge mit einem Handicap ist dabei: Er kann mit der eingeschränkten Hand den Stechbeitel festhalten und mit der beweglichen Hand mit dem Klüpfel (Holzhammer) schlagen.

Toleranz und Verständnis füreinander entwickeln

Man traf sich im Januar 2014 erstmalig zu Vorgesprächen, spielte miteinander, um sich kennenzulernen – und es passte. Schon im Februar ging es raus in den Burginnenhof, wo man das Holz gut stehen lassen kann – da war es noch sehr kalt. Aber „man arbeitet sich schnell warm, die Bewegung beim Holz bearbeiten geht durch den ganzen Körper“, sagt Doris Wehring.

Cornelia Schmidt, 39, und ihre zehnjährige Partnerin Elisabeth Rosenkranz beschäftigen sich mit „Belastungen, die Frauen zu tragen haben“. Sie haben sich erst eine Zeichnung gemacht, dann ein Modell aus Knetmasse hergestellt. „Der Kopf der Frau ist geknickt“, sagt Frau Schmidt, „das war nicht unsere Idee. Die Skulptur hat was mit uns gemacht und uns auf den Weg gebracht.“ Dass es das schwierigste sei, einen menschlichen Körper in Holz zu hauen, das habe sie nicht gewusst, stöhnt Cornelia Schmidt – und arbeitet unerschrocken weiter.

Doris Wehring und Jule Hecht, 10, befassen sich mit der „Sehnsucht nach Geborgenheit“. Auch für diejenigen, für die immer alles glatt läuft, sagt Frau Wehring, gibt es Momente, in denen sie Menschen brauchen, die für sie da sind; einen Raum, in den sie sich zurückziehen können – eine innere Mitte. Die wollen sie durch eine Perle darstellen, die geschützt ist. Frau Wehrings persönliche Perle ist die Familie, der Schatz, den sie bewahren möchte. Jule nickt. Das sieht sie genauso. Sie hat eine kleine Schwester, die ist vier Jahre alt.

Dennis Gutowsky ist elf Jahre alt und geht in die 5. Klasse. Er arbeitet zusammen mit Uwe Szcepanski, 60, der vor seiner EU-Rente als Maurer gearbeitet hat. Sie wollen ein Ei, eine Getreideähre, Maiskolben – also Nahrungsmittel und Sämereien herausarbeiten. „Was nehmen wir mit auf die Arche Noah“, ist ihre Fragestellung. „Grundlagen für neues Leben, wenn wir Land finden“, sagt Herr Szcepanski.

Udo Jensen, 62, ehemaliger Bautechniker, und Hans Rosenkranz, 11, arbeiten an einer Eule – an der Eule der Weisheit, der Erfahrung. Sie ist an ihrer „Arche Noah“ als Leitbild für die Zukunft eingemeißelt. Lukas Gutowski musste eine Zeit lang alleine arbeiten – sein Partner Ernst Otto Rehm war in der REHA, er hatte einen Herzinfarkt. Lukas will eine Insel mit Blumen gestalten, die gut gepflegt werden muss, wie er mir erklärt. Bildhauer Christian Wetzel half ihm in den drei Wochen, die Rehm nicht hier sein konnte. Inzwischen ist er zurück – noch am Entlassungstag kam er nach Neustadt zu seiner Skulptur – er wusste, dass die Gruppe gerade zusammen arbeitete.

Das Projekt „Rede und arbeite“ funktioniert in Neustadt-Glewe. Da haben sich Menschen kennengelernt über Alters- und Berufsgrenzen hinweg. Die Kinder sprechen ganz stolz von ihrem Partner – außerhalb von Familie und Schule gibt es da plötzlich einen Erwachsenen, der sie ernst nimmt, der ihnen etwas zutraut. 6 000 Euro wurden für das Projekt benötigt. Unterstützt wird es zu einem Drittel vom Kirchenkreis Mecklenburg, weiter von der Stiftung der Sparkasse Mecklenburg-Schwerin, der Stadt Neustadt-Glewe und dem Förderverein der Stadtkirche.

Zu „Kunst offen“ an Pfingsten sollen die Skulpturen ihren Platz an der Kirche finden. Sie werden vermutlich viel Besuch bekommen: von ihren Schöpfern, den Kirchenmitgliedern und ebenso von den Touristen, die sich die Kirche ansehen, die täglich von 9 Uhr bis zum Sonnenuntergang geöffnet ist. Ich bin auch sehr gespannt, was sich in den Wochen bis Pfingsten noch so tut, an und mit dem Holz

Quelle: Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung Nr. 19/2014