Prof. H. Michael Niemann Die Rede von der „Jungfrauengeburt“ und wir im 21. Jahrhundert nach Christus

Von H. Michael Niemann

Prof. Dr. H. Michael Niemann ist Inhaber des Lehrstuhls für Altes Testament an der Universität Rostock und biblischer Archäologe.

Foto: ELKM

22.12.2013 · Rostock.

Da war sie wieder einmal, im SPIEGELInterview (30/2013, 44-46) mit Margot Käßmann über das neue Familienpapier der EKD: Die befremdliche, manchen Christenmenschen peinliche Rede von der Jungfrauengeburt.

Betrachtet man die oft flapsigen, wenig tiefgehenden, manchmal suggestiven Fragen des SPIEGEL mit provozierenden Schlagworten aus der theologischen Mottenkiste, und bedenkt man, dass Frau Käßmann immer nur 1-2 Sätze antworten darf, dann hat sie sich sehr gut geschlagen, nicht nur zur Frage der Jungfrauengeburt. Bedenkt man weiterhin, dass die theologische Rede von der Jungfrauengeburt mehrere Wurzeln hat, deren älteste 2 800 Jahre zurückreicht, ist es unsachgemäß und falsch, das Problem kurz abzutun. Da macht der SPIEGEL es sich zu leicht.

Die eine Wurzel der Rede von der Jungfrauengeburt: Im alttestamentlichen Buch des Propheten Jesaja (7,14) wird in einer politisch bedrohlichen Kriegssituation Achas (741-725 v.Chr.), König von Juda, prophezeit, dass eine junge Frau schwanger ist und einen Sohn gebären wird, der den Namen Immanuel („Gott mit uns“) tragen soll. Noch bevor der Knabe erwachsen, zu selbständigem Urteil fähig ist, wird die Gefahr vorbei sein. Der Text war seinerzeit so zu verstehen, dass ein künftiger Retter, Kriegsheld, ein künftiger Herrscher ( Kronprinz des Königs Achas?) gemeint ist.

Achas bekommt also eine hoffnungsvolle Prophezeihung für die Zukunft in schwieriger Gegenwart. In dieser Prophezeihung ist aber vieles offen. Wer und was wird der Kommende sein? Wann genau kommt er? Wer ist die junge Frau? Deshalb gehört der Vers zu denen im Alten Testament, die am meisten diskutiert wurden. Wichtig ist: Das hebräische Wort für die „junge Frau“ in Vers 14 („Almah“) meint eine geschlechtsreife, heiratsfähige Frau; biologische Jungfräulichkeit gehört nicht notwendig zum Bedeutungsfeld des Wortes, ist aber auch nicht auszuschließen.

Die Babylonier unter König Nebukadnezar bereiteten dem Staat Juda und der Königsdynastie Davids 586 v.Chr. ein Ende. Umso mehr wuchs die sehnsüchtige Erwartung in Juda nach einem staatlichen Neuanfang und einem neuen König aus dem Hause Davids oder einem kraftvollen Herrscher, einem zum Herrscher „Gesalbten“ (hebräisch: „Messias“). Die in Jesaja 7,14 formulierte Hoffnung, dass ein Retter kommen würde, blieb unvergessen. Sie wuchs vielmehr. Verständlich, denn die nächsten 2 500 Jahre blieben die Juden ununterbrochen Untertanen wechselnder Großmächte, oft verfolgt und bedroht, nie staatlich selbständig. Immer wieder gab es Menschen, von denen man vermutete und hoffte, sie seien ein bzw. der „Messias“, der „Immanuel“, angekündigt in Jesaja 7. So auch in der hellenistisch-römischen Epoche.

In dieser Zeit entstand in der großen jüdischen Exilsgemeinde in Alexandria, wo man kaum noch Hebräisch verstand, sondern Griechisch sprach, die sogenannte „Septuaginta“, die griechische Übersetzung der hebräischen Bibel. Sie war auch die Bibel der frühen christlichen Gemeinden. In der Septuaginta wurde in Jesaja 7,14 das hebräische Wort für die „junge Frau“ („Almah“), die Mutter des Hoffnungsträgers der Zukunft, mit dem griechischen Wort „Parthenos“ („unberührte Jungfrau“) übersetzt. „Parthenos“ entspricht aber eher dem hebräischen Wort „Betulah“, weniger dem hebräischen „Almah“. Warum wählte der Übersetzer aber „Parthenos“ für das hebräische „Almah“? Hier kommt ein wichtiges religionsgeschichtliches Faktum in unsere Überlegungen.

In der damaligen hellenistisch-römischen Welt, auch in Ägypten, gab es folgende Redeweise: Wenn man von einem Menschen sprach, der überragende, sogar weltweite Bedeutung hatte, dann nannte man ihn „Jungfraugeborener“. Ein Jungfraugeborener ist ein die menschliche Ebene unendlich Überragender. Bei einer Geburt kann ein Mann fehlen, eine Frau nicht. So wurde beispielsweise in Ägypten der Kronprinz und zukünftige Pharao „Jungfraugeborener“ genannt, d.h. ohne Mitwirkung eines menschlichen Vaters von einer Gottheit und der Hauptfrau des Pharao gezeugt und geboren, der Menschheit bzw. dem Volk Ägyptens als „Gottesgeschenk“ gegeben, alles Menschliche überragend. Bis zur Geburt des ägyptischen Thronfolgers galt die Frau des Pharao als „Jungfrau“, obwohl sie es biologisch seit mindestens 9 Monaten nicht mehr war. Es handelt sich also bei der „Jungfrauengeburt“ um eine qualitative Aussage, die einem Neugeborenen (und seiner Mutter) eine alles Menschliche überragende (religiöse, politische) Qualität und Bedeutung zuweist. Biologisch-Medizinisches spielt überhaupt keine Rolle. Selbstverständlich wussten daneben die Menschen damals, wie ein Kind gezeugt und geboren wird und dass der pharaonische Kronprinz auf der schlicht menschlichen Ebene vom Pharao und seiner Hauptfrau gezeugt worden war.

Die frühe christliche Gemeinde kannte ihre (griechische) Bibel und las in Jesaja 7,14 die Weissagung von einem „Jungfraugeborenen“. Sie bezog die Prophezeihung Jesajas auf Jesus von Nazaret, von dem sie glaubte, dass er der Welt von Gott geschenkt, „geboren von der Jungfrau Maria“ sei. Das ist ein klares Bekenntnis zu der überragenden weltweiten Bedeutung Jesu, genauso wie die griechische Bezeichnung „Christus“ (hebräisch: „Messias“) ein ebensolches Bekenntnis ist: Jesus ist der Messias („der Gesalbte“), der Gottessohn.

In diesem Bekenntnis spielt irgendeine biologisch- medizinische Frage der Jungfräulichkeit nicht die geringste Rolle. Christen und Nichtchristen der Zeit Jesu würden über heutige Verwunderung gegenüber der Bezeichnung „Jungfrauengeburt“ verständnislos den Kopf schütteln. Sie würden sich über die Naivität, eine religiös-qualitative Aussage platt biologisch misszuverstehen, sehr wundern. Sie würden uns ungünstigenfalls für böswillig missverstehende und missdeutende Kultur-Barbaren halten, die ihre Sprach- und Lebenswelt nicht verstehen.

So konnten die christlichen Kirchenväter und Bischöfe schon auf der Synode von Nicäa (381 nach Chr.) von Jesus bekennen, „für uns Menschen und zu unserem Heil ist er vom Himmel gekommen, hat Fleisch angenommen durch den Heiligen Geist von der Jungfrau Maria“. Und auch in dem uns vertrauten „Apostolischen Glaubensbekenntnis“ (seit Anfang des 5. Jh. schriftlich belegt, wahrscheinlich älter) bekennen wir von Jesus, er sei „geboren von der Jungfrau Maria“.

In Kenntnis des religiösen, kulturellen und historischen Entstehungskontextes kann auch heute jeder Christ, jede Christin, ohne sich naturwissenschaftlich zu verbiegen, problemlos bekennen, dass Jesus „von der Jungfrau Maria geboren“ sei. Damit sagen wir etwas über unser glaubendes und vertrauendes Verhältnis zu Gott und Jesus aus, aber absolut nichts über ein biologisches, medizinisches Problem. In diesem Sinne gehört die Rede von der „Jungfräulichkeit“ Marias zur unverzichtbaren Substanz unseres christlichen Glaubens: Jesus ist Gottes einzigartige Gabe für unsere Welt, er ist für seine Bekenner von weltweit einzigartiger Bedeutung

Ein Künstler in Würzburg hat dieses Bekenntnis mit hoher Illustrationskunst dargestellt, vielleicht auch mit einer kleinen Prise Humor. Gott- Vater hat eine Art Sprachrohr am Mund, wie ich es noch in meiner Kindheit bei Schwerhörigen sah, bevor es Hörgeräte gab. Nicht nur der Verkündigungs- Engel spricht zu Maria, sondern auch Gott-Vater. Das Sprachrohr Gottes läuft direkt am Ohr der Maria in eine Taube aus. Die Taube ist das Symbol der (Gottes-)Liebe und der Unschuld. Das so angekündigte Jesuskind rutscht mit kindlicher Begeisterung auf dem geschwungenen Hörrohr Gottes direkt in das Ohr Marias.

Quelle: Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung Nr. 51-52/2013