Die Musik-Volx-Schule soll benachteiligten Kindern Chancen eröffnen Musik für alle
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20.10.2013 · Schwerin. Die Evangelische Jugend Schwerin will in mecklenburgischen Plattenbausiedlungen Stadtteilorchester gründen – und damit erreichen, was vielerorts bisher nicht gelingt: dass Kinder aus einkommensschwachen Familien die gleichen Chancen bekommen wie andere.
Alle Kinder sollten die Chance haben, ihre Talente zu entwickeln und Neues auszuprobieren – in der Theorie sind wir uns in Deutschland darüber einig. Das Problem: „Oft bleiben diese Entwicklungsräume gerade Kindern aus einkommensschwachen Familien verschlossen“, sagt Axel Markmann, Geschäftsführer der Evangelischen Jugend in Schwerin. Zum Beispiel, wenn es darum gehe, ein Musikinstrument zu erlernen. Denn die Kosten für ein Instrument oder musische Bildung überstiegen trotz Bildungs- und Teilhabepaket das Budget vieler Eltern, sagt Markmann.
Gemeinsam mit einem Initiativkreis aus Wismar und Umgebung hat die „Sozial-Diakonische Arbeit Evangelische Jugend“ deshalb in der Innenstadt von Wismar die „Musik-Volx-Schule“ eröffnet (Dr. Leber Straße 56). Innerhalb einer dreijährigen Modellphase soll hier eine Evangelische Musikschule entstehen, in der alle Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen mitmachen können – auch die, die von den Musikschulen oder den Musikangeboten in Kirchengemeinden bisher nicht erreicht werden.
Wer in der Mitte der Gesellschaft ankommen und bleiben will, müsse lebenslanges Lernen trainieren, sagen die Initiatoren. Wie gehe das besser als mit Musik. Doch wie erreicht man die gewünschten Gruppen? Ähnlich wie schon die Kollegen vom „Volx-Mobil“ der Evangelischen Jugend Schwerin wollen Musikpädagogin Silke Thomas- Drabon und weitere Mitarbeiter der Musik-Volx-Schule auch sogenannte „aufsuchende Stadtteilarbeit“ betreiben: hinausfahren in die Plattenbausiedlungen mehrerer mecklenburgischer Kleinstädte, um Kinder und Jugendliche dort anzusprechen und mit ihnen zusammen Straßenchöre oder Stadtteilorchester aufzubauen.
In einer Plattenbausiedlung in Neubukow war Silke Thomas-Drabon vor Kurzem mit Henrike Ogilvie vom Volx-Mobil unterwegs. Ein Vater, der seine ungefähr sechsjährige Tochter vom Schulbus abholte, war einer der ersten, der ihnen begegnete, berichtete Ogilvie bei der Eröffnungsveranstaltung der Musikschule. „Er ist schwer betrunken, geht aber freundlich und sanft mit dem Mädchen um“, schilderte sie. „Eigentlich aber bringt die Kleine ihren Vater nach Hause. Sie geht mit ihm über die Straße, hilft ihm über die Bordsteinkanten, trägt den Einkaufsbeutel, nachdem der runtergefallen ist, fischt den Schlüssel heraus, als der Vater ihn nicht findet …“ – Und wer geht mit diesem Mädchen? Wer hilft ihm über Kanten hinweg? Wer fischt mit ihm in vollen Einkaufsbeutel des Lebens nach den Schlüsseln...?
„Kinder brauchen Räume, um Neues auszuprobieren“
Musikpädagogin Silke Thomas- Drabon nahm diese Begegnung zum Anlass, um erste Ideen für den Aufbau von Stadtteilorchestern und Straßenchören zu skizzieren. Kinder und Jugendliche sollen darin Spaß haben, ihr Talent entdecken und ausbauen können. Sie sollen Gemeinschaft mit anderen erleben und einen Ort bekommen, an dem Sinnfragen gestellt werden können. Sie sollen zusammen mit anderen Stadtteilakteuren einen guten Platz für sich erobern und auch in Berührung kommen mit Kirche. Die Kirchenmusik, aber auch andere Chöre und Musikgruppen könnten ihnen eine Bühne bieten. So machten beide Frauen deutlich: Heute starten wir ein Projekt, das vielen Kindern spielerisch Chancen eröffnen wird.
Letztlich wollen sie damit Familien in schwierigen Lebenswelten stärken und jungen Menschen Begleitung, Orientierung und Berufswegplanung anbieten. Die Stiftungen Aktion Mensch und Kirche mit Anderen fördern die dreijährige Modellphase – worüber sich Geschäftsführer Axel Markmann besonders freut. Die Idee der Musik- Volx-Schule habe nämlich von Anfang an gute Kritiken erhalten, sagt er. Doch Finanzierungsaussichten gab es kaum. Das ist Jugendsozialarbeit, hieß es – schade, die Gelder für die nächsten Jahre sind schon gebunden. Oder: Tolles Modellvorhaben der Benachteiligtenförderung, aber leider können wir solche Projekte erst in drei Jahren wieder fördern.
Axel Markmann sieht in der Musik- Volx-Schule vor allem ein Projekt der außerschulischen Bildungsarbeit. Eines, das darauf zielt, Kinder und Jugendliche in musikalische Förderzusammenhänge zu bringen – auch in die der Kirchenmusik. „Dadurch können wir zusätzlich als Kirche mit Anderen identifiziert werden“, sagt er. Und weil er und seine Mitarbeiter verliebt seien ins Gelingen, gingen sie davon aus, dass die Musik-Volx-Schule am Ende der Modellphase neue Impulse für die aufsuchende Arbeit gesetzt hat und weiter finanzierbar ist. „Denn Kinder und Jugendliche in Wismar und Umgebung brauchen die Chance, ihre Talente zu entwickeln, und Räume, um Neues auszuprobieren.“
Quelle: Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung Nr. 42/2013