Geschichte Das Revolutionsjahr 1989 - Der Monat August
01.08.2014 · Berlin. Der 25. Jahrestag der friedlichen Revolution in der DDR steht in diesem Jahr bundesweit im Mittelpunkt zahlloser Veranstaltungen. Nachfolgende Monatschronik für den Monat August 1989 dokumentiert, wie sehr sich die Umbrüche, die im Herbst zum Ende der SED-Herrschaft führten, bereits Monate vorher anbahnten.
1.8. Die Zeitungen und Zeitschriften des Axel Springer-Verlages verzichten ab sofort auf die Anführungszeichen bei der Nennung der DDR. Auf Anweisung des im September 1985 gestorbenen Verlegers Axel Springer sollte damit der provisorische Charakter des zweiten deutschen Staates verdeutlicht werden.
3.8. Das Innenministerium in Budapest erklärt, dass Ungarn bereit sei, auch DDR-Flüchtlingen Asyl zu gewähren.
4.8. In einem in Ost-Berlin bekannt gewordenen Schreiben an den Vorsitzenden der atomkritischen Ärzte-Vereinigung IPPNW in der DDR, Professor Moritz Nebel, mahnen 67 christliche Mediziner demokratische Mitbestimmungsrechte und finanzielle Eigenständigkeit für die DDR-Sektion an.
5.8. Die DDR-Führung nimmt erstmals im DDR-Fernsehen zu den Botschaftsflüchtlingen Stellung und räumt Probleme ein.
6.8. Die DDR warnt ihre Bürger davor, ihre Ausreise in bundesdeutschen Botschaften zu erzwingen und verweist in einer ADN-Meldung darauf, dass für ihre Angelegenheiten nur die DDR zuständig sei. Nach einer Informationsandacht in der Dresdner Paul-Gerhardt-Kirche ziehen etwa 150 Besucher zur nahegelegenen Baustelle für ein neues Chemiewerk und lassen sich aus Protest auf einer Wiese nieder. 23 von ihnen werden von Sicherheitskräften festgenommen und erst nach Stunden wieder freigelassen.
8.8. Die Ständige Vertretung der Bundesrepublik in Ost-Berlin stellt wegen Überfüllung den Besucherverkehr ein. Über 130 DDR-Bürger halten sich in der Vertretung auf, um ihre Ausreise zu erzwingen.
9.8. Zwischen Frankfurt/Main, Düsseldorf und Leipzig richtet die Lufthansa die erste innerdeutsche Fluglinie ein.
10.8. Ungarn verzichtet darauf, gescheiterte Fluchtversuche in die DDR-Pässe einzutragen.
11.8. Vertreter von Bundeskanzleramt und DDR-Außenministerium nehmen Verhandlungen über die Situation der Ausreisewilligen in den bundesdeutschen Botschaften auf.
12.8. Das SED-Zentralorgan "Neues Deutschland" erklärt, dass der Bau der Berliner Mauer 1961 Ruhe und Stabilität gebracht und vor imperialistischen Übergriffen geschützt habe.
13.8. Die Bonner Botschaft in Budapest muss wegen Überfüllung geschlossen werden. Von dort wollen rund 180 DDR-Bürger ausreisen. Vor dem Brandenburger Tor im Ostteil Berlins demonstrieren am Jahrestag des Mauerbaus mehrere DDR-Bürger für ihre Ausreise. 15 von 131 ausreisewilligen DDR-Bürgern verlassen die Ständige Vertretung Bonns in Ost-Berlin. Bei einem Gemeindeabend mit 400 Teilnehmern in der Bekenntniskirche im Ostteil Berlins rufen Vertreter von Basisgruppen zu einer "Sammlungsbewegung für Erneuerung" und zur Umgestaltung der DDR auf.
14.8. Staats- und Parteichef Erich Honecker erklärt in einer öffentlichen Rede: "Den Sozialismus in seinem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf."
15.8. Angesichts der andauernden Fluchtwelle schlägt der Ost-Berliner Konsistorialpräsident Manfred Stolpe in einem Interview der Kölner Tageszeitung "Express" ein Spitzengespräch zwischen Bundeskanzler Helmut Kohl sowie SED-Staats- und Parteichef Erich Honecker vor.
16.8. Am Grenzübergang Stolpe/Heiligensee scheitert ein Fluchtversuch mit einem Tanklastwagen.
17.8. In einem Schreiben an die Pfarrer seines Kirchenbezirkes äußert der Dresdner Superintendent Christof Ziemer massive Kritik am polizeilichen Einsatz gegen Jugendliche, die mit einer Trommelaktion gegen das gewaltsame Vorgehen der chinesischen Führung gegen die Demokratiebewegung in Peking protestiert hatten. Das polnische Parlament verurteilt den Einmarsch des Warschauer Pakts in die CSSR 1968.
18.8. Ost-Berliner Bürgerrechtler und Mitglieder des niedersächsischen Landtags verweisen in einer gemeinsamen Erklärung zum 50. Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen auf die notwendigen Kontrollaufgaben der Opposition in Staat und Gesellschaft.
19.8. In Sopron/Ungarn kommt es zur größten Massenflucht von DDR-Bürgern seit dem Mauerbau. Etwa 900 Menschen nutzen das vom Präsidenten der Paneuropa-Union, Otto von Habsburg, initiierte "Paneuropäische Picknick" zur Flucht über die "grüne" Grenze nach Österreich. 20.8. In einem Brief an Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) bekräftigen 115 Ausreisewillige in Bonns Ständiger Vertretung in Ost-Berlin die Absicht, bis zu einer akzeptablen Lösung auf dem Gelände zu bleiben.
21.8. Am 21. Jahrestag der Niederschlagung des Prager Frühlings fordern Demonstranten in Prag Demokratie und Freiheit. Die Polizei löst die Demonstration gewaltsam auf. An der österreichisch-ungarischen Grenze wird ein DDR-Bürger auf der Flucht erschossen.
22.8. Die Botschaft der Bundesrepublik in Prag wird wegen Überfüllung geschlossen. Rund 140 DDR-Bürger wollen von dort aus in den Westen übersiedeln.
23.8. Zwei Millionen Menschen demonstrieren mit einer Kette zwischen Vilnius und Talinn für die Unabhängigkeit der baltischen Staaten.
24.8. In der Berliner Golgathakirche stellen die beiden evangelischen Pfarrer Markus Meckel und Martin Gutzeit einen Aufruf zur Gründung einer Sozialdemokratischen Partei in der DDR vor. In Budapest erhalten 108 DDR-Bürger, die sich in der Botschaft der Bundesrepublik aufhalten, durch die ungarische Regierung als einmalige humanitäre Aktion die Ausreiseerlaubnis in den Westen. In Polen wird Tadeusz Mazowiecki vom "Bürgerkomitee Solidarnosc" zum ersten nichtkommunistischen Regierungschef eines Warschauer-Pakt-Staates gewählt.
25.8. In einem Interview des Deutschen Allgemeinen Sonntagsblattes (Hamburg) äußert der Ost-Berliner Schriftsteller Stefan Heym Zweifel an der Reformfähigkeit der SED.
26.8. Das "ND" fordert die Bevölkerung zum Bleiben in der DDR auf.
27.8. Der SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel wirft der SED in einem Deutschlandfunk-Interview "Reformunwilligkeit" vor. Vertreter der Evangelischen Allianz in der DDR appellieren an die Christen in der DDR, im Lande zu bleiben. In der Leipziger Thomaskirche beginnen zwei Theologiestudenten eine unbefristete Fastenaktion, um auf die gesellschaftspolitischen Missstände in der DDR aufmerksam zu machen.
28.8. Bundespräsident Richard von Weizsäcker bekräftigt in einem Schreiben an den polnischen Staatspräsidenten Wojciech Jaruzelski den Verzicht der Bundesrepublik auf Gebietsansprüche an Polen. Der Malteser-Caritas-Dienst in Budapest registriert 1.800 DDR-Flüchtlinge.
29.8. Die aus der DDR stammende Schriftstellerin Monika Maron wirft SED-Staats- und Parteichef Erich Honecker "starken Realitätsverlust" vor. Er lese nur noch "gefälschte Berichte" über die Situation in der DDR, sagt sie im Schweizer Fernsehen.
30.8. In Bayern wird mit den Vorbereitungen zur Errichtung von Notaufnahmelagern für DDR-Flüchtlinge begonnen.
31.8. Österreich setzt die Visumspflicht für DDR-Bürger aus, um ihnen die Reise von Ungarn in die Bundesrepublik zu erleichtern.
Quelle: epd