Wort zum Neuen Jahr von Bischof Dr. Hans-Jürgen Abromeit "Interesse an den Spuren Gottes im Leben anderer"
31.12.2014 · Greifswald.Die Jahreslosung der Kirchen, eine Art Leitvers für das Jahr 2015, erscheint wie ein biblischer Kommentar zur aktuellen Debatte um Flüchtlinge, Asylsuchende und die "Pegida"-Bewegung: "Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob." (Römer 15,7) Entstanden ist diese Aufforderung des Apostels Paulus vor rund 2000 Jahren aus einer Konfliktsituation heraus. In Rom stritten sich die Christen mit einem jüdischen Hintergrund mit denen, die kein Verständnis für jüdische Traditionen und Bräuche wie etwa koscheres Essen hatten. Beide Parteien wähnten sich im Recht. Paulus löst die Spannung auf, indem er sagt: Es geht gar nicht darum, wer Recht hat. Für uns Christen geht es darum, das Geschenk, das uns Gott gemacht hat, indem er in Jesus Christus Mensch wurde und am Kreuz für uns starb, zu würdigen: Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat, nehmt Rücksicht aufeinander.
Auseinandersetzungen, die darum kreisen, wer Recht hat, greifen zu kurz und werden den eigentlichen Anliegen nicht gerecht. Es gibt eine Redensart, die das augenzwinkernd auf den Punkt bringt: "Man kann entweder Recht haben wollen oder verheiratet sein." Aus eigener Kraft ist es häufig zu schwer, über seinen Schatten zu springen. Doch der Blick auf Jesus Christus rückt Auseinandersetzungen in die richtige Perspektive. Er ist eine Änderung in der Grundhaltung, die uns jedem Menschen unvoreingenommen gegenüber treten lässt "zum Lobe Gottes".
Weil Christus uns angenommen hat, können und sollen wir über unseren Schatten springen und diejenigen annehmen, die uns befremden und verunsichern: Für manche mag das der Asylbewerber aus Eritrea sein, für andere der Nachbar, der montags für "Pegida" auf die Straße geht. Dabei meint Paulus mit "Annehmen" weder ein bloßes Tolerieren, noch ein Kümmern, das gerne etwas Herablassendes haben kann: Wir kümmern uns um Menschen mit Behinderung, wir kümmern uns um Flüchtlinge. Als Christen müssen wir darauf bestehen, dass Flüchtlinge und Asylsuchende Teil unserer Gemeinden werden, sie als Arbeitskollegen begrüßen und ihre Kinder in den Fußballverein oder den Kinderchor einladen.
Und wir brauchen sie in unseren Kirchengemeinden: Nicht wenige der Flüchtlinge und Asylbewerber, die in unserem Land um Aufnahme bitten, sind Christen. Wir sollten sie bewusst in unsere Gemeinden einladen, auch wenn ihre Sprache und ihre Sitten anders sind als unsere. Solche Gastfreundschaft erfordert allerdings die Bereitschaft, sich von den Gästen verändern zu lassen. Nur so werden sie auf Dauer zu ebenbürtigen Mitgliedern unserer Gemeinschaft. Das Anderssein des anderen verunsichert mich nicht mehr, sondern zeigt mir den Reichtum der Liebe Gottes und die Vielfalt der Wege, die er mit den Menschen geht. An die Stelle von Angst treten Neugier und Interesse an den Spuren Gottes im Leben anderer.
Bischof Dr. Hans-Jürgen Abromeit, Bischof im Sprengel Mecklenburg und Pommern, Greifswald