Christof Munzlinger ist Kommandeur im Landeskommando MV General an der Orgel
Von Marion Wulf-Nixdorf
09.02.2014 · Schwerin. Bei der 250. Orgel habe er aufgehört mit dem Aufschreiben. Überall auf der Welt, wo es ihn dienstlich oder privat hinführt und wo eine Orgel in der Nähe ist, da fragt er nach, ob er sie spielen dürfe – in Paris, in London, in Moskau, in der Dresdener Frauenkirche, im Kölner Dom, in Mainz und in Washington, in Boston und in Jerusalem. „Mich hat nie jemand abgewiesen“, sagt Christof Munzlinger.
Später, nach einer Stunde unseres Gespräches in der Werder-Kaserne in Schwerin, gibt General Munzlinger zu, dass ein Pastor ihn kurz nach der Wiedervereinigung doch einmal abgewiesen habe. Aber als nur wenige Wochen später ein Organist für den Gottesdienst gebraucht wurde und es sich in der Region bereits herum gesprochen hatte, dass da ein Soldat sei, der Orgel spielen könne – „da ging er wieder auf mich zu und bat mich im Gottesdienst zu spielen“. Über die Jahre hinweg entwickelte sich daraus ein freundschaftliches Verhältnis.
Munzlinger kann diese Reaktion von damals verstehen. Oft fragen die Leute ihn, wie er denn Christsein, Orgelspiel und Militär miteinander verbinden könne und mit diesen Fragen setzt sich Munzlinger gern auseinander. Die Bundeswehr sei eine demokratisch kontrollierte Armee mit mündigen Bürgern, betont er. Ethisch-moralisch fundiert. Keiner Partei unterstellt, sondern einzig und allein den Werten des Grundgesetzes verpflichtet. Er wird nicht müde darauf hinzuweisen, dass jeder Einsatz von einem demokratisch gewählten Parlament, dem Deutschen Bundestag, ein Mandat erhalten und damit quasi abgesegnet sein muss.
Das Einsatzspektrum der Bundeswehr ist dabei jedoch keinesfalls auf Auslandseinsätze allein beschränkt. „Die Bundeswehr verfügt über ausreichend Personal und geeignetes Material, um im Rahmen der Amtsund Nothilfe im Katastrophenfall die Landesregierungen der Bundesländer unterstützen zu können. Das hat die Bundeswehr im Hochwassereinsatz 2013 erneut eindrucksvoll gezeigt“, bringt es der General auf den Punkt.
Schwerter zu Pflugscharen
Da sind die Ostdeutschen, zumindest die kirchlichen, anders geprägt. Mit Waffen wollten Christen in der ehemaligen DDR nichts zu tun haben, ihr Leitspruch war – und ist es bei vielen bis heute: Schwerter zu Pflugscharen! Schnell hat der General als Katholik seinen Luther parat und zitiert ihn mit den Worten: „Man muss ungerechter Gewalt in den Arm fallen können“. Man habe gelernt, und nicht nur aus den Erfahrungen des Dritten Reiches, da ist sich Christof Munzlinger sicher.
Fünf Monate war der General im Einsatz in Afghanistan. Wenn die Politik es anordnet, „erfüllen deutsche Soldaten auch im Ausland ihre Pflicht. Das ist gefährlich – oft genug auch lebensgefährlich. Jeder Einzelne, der Leben oder Gesundheit verloren hat, ist ein schweres Opfer“, weiß er aus eigenem Erleben. „Wir dienen Deutschland“, setzt er fort und erinnert an den Schwur, den Soldaten leisten: „... der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen, so wahr mir Gott helfe.“ „Im äußersten Fall treten wir deshalb mit unserem Leben für unser Land ein“, sagt er und fordert: „Alle davon unmittelbar Betroffenen verdienen die uneingeschränkte Unterstützung und den Rückhalt der gesamten Bevölkerung unabhängig davon, wie jeder persönlich zu den Auslandseinsätzen der Bundeswehr stehen mag.“
Er erzählt von einem deutschen Soldaten in Afghanistan, der auf ein Auto geschossen hatte, welches mehrere Stoppsignale ignorierte. Der Soldat hatte den Eindruck, das Auto hätte seinen Kameraden überfahren und rase nun auf ihn zu. Es gab zivile Tote. Der junge Mann musste sich später vor einem Gericht in Deutschland verantworten. „ Der Einsatz von Waffengewalt als ´Ultima Ratio` fällt niemandem leicht und ist an strenge Auflagen gebunden. Wir sind keine schießwütigen Rambos in der Bundeswehr“, führt Munzlinger weiter aus.
Er war drei Jahre im Bundesministerium für Verteidigung der Ansprechpartner für die im Einsatz traumatisierten Soldaten. In seinem Lebenslauf heißt das etwas klausuliert ´für einsatzbedingte posttraumatische Belastungsstörungen und Einsatztraumatisierte`. General Munzlinger weiß, wovon er spricht. Die Familie hat fünf inzwischen erwachsene Kinder. Hätte er es akzeptieren können, wenn eines den Wehrdienst verweigert hätte? Ja, er hätte es selbstverständlich toleriert, betont er. Inzwischen ist die Wehrpflicht ausgesetzt und die Frage stellt sich heute nicht mehr.
Lernprozess für beide Seiten
Als junger Mensch hatte Christof Munzlinger keine Beziehungen in den Osten. 1993, da war er knapp 40, wird er nach Dabel als Kommandeur eines Panzerartilleriebataillons versetzt. Als alleinerziehender Vater mit zwei halbwüchsigen Kindern kommt er nach Mecklenburg-Vorpommern. Durch das Orgelspiel lernt er Pastor Lange und seine Frau kennen. Das Ehepaar hat ein offenes Haus – auch für Uniformträger. Munzlinger unterstützte den Pastor unter anderem bei der Pfadfinderarbeit in der mecklenburgischen Landeskirche.
Er lernt seine zweite Frau, verwitwet, Pastorentochter, samt großer Familie kennen – die pazifistisch denkend sich zunächst sehr wundert... dann aber ihrem Herzen folgt. Und so ist er heute ein hochrangiger Militär Angehöriger einer alteingesessenen mecklenburgischen Pastorenfamilie und „aufmerksamer Leser der Kirchenzeitung“, wie er sagt.
Zwei Jahre ist er in der Nähe von Sternberg stationiert, bevor es nach Bonn in das Verteidigungsministerium geht, dann nach Hamburg an die Führungsakademie. Es folgen Versetzungen nach Düsseldorf, Bonn, ein Jahr an das Royal College of Defence Studies in London – dorthin begleitet ihn seine Frau –, Ulm, fünf Monate Afghanistan. Dorthin lässt er zu Ostern ein ordentliches Orgel-Keyboard einfliegen, welches noch heute dort gespielt wird – in Masar-e Sharif.
Dann wieder das Verteidigungsministerium in Bonn und Berlin und schließlich seit 2013 Kommandeur Landeskommando MV in Schwerin. General Munzlinger ist fest überzeugt, dass die „Armee der Einheit“ gelungen ist. Es sei „ein Lernprozess für alle Beteiligten gewesen“, meint er. Vor allem für die Älteren. Der junge Hauptmann an seiner Seite, gerade mal 30 Jahre alt, merkt keine Ost-West- Unterschiede in der Bewertung seines Berufes. „Es wird über die Sachsen genauso gelästert wie über die Bayern oder die Preußen“, sagt er.
Dass es Militärseelsorger gibt, die nicht nur im Ausland, sondern gerade auch an den Standorten in Deutschland für die Sorgen und Nöte der Soldaten da sind, ist für ihn ein wichtiger Punkt. In Masar-e Sharif habe es auch vier Taufen gegeben, erwähnt Munzlinger in einem Nebensatz.
Vierhändig mit dem Innenminister
Im letzten Herbst spielte er mit Innenminister Lorenz Caffier an der Sternberger Orgel eine CD ein – einige Stücke vierhändig an der Orgel, unterstützt von dem Trompeter Valeriy Pruss und Mitgliedern des Landespolizeiorchesters.
Munzlinger ist inzwischen verwachsen mit Mecklenburg-Vorpommern. Er lädt seine ehemaligen Schulkameraden hierher zum Klassentreffen ein und lässt sie das Land bewundern. Er hat ein Haus gebaut und wird hier bleiben. Auch wird er immer wieder ehrenamtlich Orgel spielen, wenn er gebraucht wird.
Quelle: Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung Nr. 06/2014