Mit einer kaum bekannten Aktion rettete das schwedische Rote Kreuz in den letzten Kriegstagen KZ-Häftlinge Die weißen Busse der Hoffnung
Von Helga Niet
11.05.2014 · Schwerin. Ganz bewusst haben die Gestalter der Holocaustgedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem neben all den erdrückenden Bildern und Zeugnissen der Unmenschlichkeit und des millionenfachen Leids und Todes auch Zeugnisse gesetzt, die von denen erzählen, die sich unter Einsatz ihres Lebens für andere einsetzten. An sie erinnert der „Garten der Gerechten unter den Völkern“. Am Rand der Gedenkstätte steht auch ein altertümlicher weißer Bus. Warum er hier steht, erzählt die Schwerinerin Dr. Helga Niet, die über eine kaum bekannte Rettungsaktion auch von jüdischen Frauen im Gebiet des heutigen Mecklenburg-Vorpommern forscht:
Die Rettung von Häftlingen aus den Konzentrationslagern im Jahre 1945 durch das Schwedische, Dänische und das Internationale Rote Kreuz im Rahmen der Aktion „Weiße Busse“ ist relativ unbekannt. Deutlich wurde das mit einer Anfrage eines schwedischen Journalisten. Im Jahre 1998 erschien dazu ein Artikel im Mecklenburg- Magazin. Es handelte sich um zwei Ärzte – Dr. Zehrer und Lubinski, die Ende April 1945 einem schwedischen Leutnant in einem Schweriner Reservelazarett das Leben retteten. Ihrer damaligen Hilfe wollte man gedenken und sie ins Licht der Gegenwart rücken. Wenn es bis heute nicht gelungen ist, eine umfassende Antwort darauf zu finden, so war es doch Anlass, sich mit diesem Thema weiter zu beschäftigen.
Verhandlungen zwischen Schweden und Himmler
Die „Weißen Busse“ waren das Ergebnis von Verhandlungen zwischen Himmler und Schweden. Ausgehend von der immer prekärer werdenden politischen Situation in Deutschland wollte Schweden internierte Norweger und Dänen retten, Himmler letztlich seinen eigenen Kopf.
In den letzten Kriegsmonaten des Jahres 1945 kam nach mehreren Verhandlungen endlich eine Rückhol-Vereinbarung zustande, in Schweden vertreten durch den Vize-Präsidenten des Roten Kreuzes, Graf Folke Bernadotte. Sie gipfelte darin, internierte Norweger und Dänen nach Schweden „ausreisen“ zu lassen. Nach einigem Hin und Her gab Himmler schließlich die Genehmigung, auch Gefangene anderer Nationen wie z.B. Niederländer, Polen oder Franzosen mitzunehmen.
Endlich konnte am 12./13. März mit der schwedischen Hilfsaktion begonnen werden. Als Hauptquartier wurde ein Ort östlich von Hamburg in der Nähe von Neuengamme gewählt: Friedrichsruh. Bernadotte nutzte dabei seine persönlichen Verbindungen zu der Familie von Bismarck.
Friedrichsruh wählte man aus mehreren Gründen: Ann Mari Fürstin von Bismarck, war die Tochter des schwedischen Architekten Professor Ivar Tengbom. Otto von Bismarck – Enkel des Reichskanzlers, lernte sie als deutscher Gesandter in Stockholm kennen. Ann Mari war eine ehemalige Schulkameradin von Graf Folke Bernadotte, dieser wiederum war ein Enkel von König Oscar II. von Schweden und Norwegen und Neffe des schwedischen Königs Gustav V. Der Ort Friedrichsruh bot durch die umgebenden Wälder auch Schutz für Fahrzeuge und Zelte. Die aus den KZ Geretteten sollten in Neuengamme Zwischenstation machen, um dann nach Schweden gebracht zu werden.
Mit Schwedenflagge und Rotem Kreuz unterwegs
Am 15. März fuhr die erste Kolonne nach Sachsenhausen, der bis zum 29./30. April noch viele in alle Konzentrationslager, wo immer sich skandinavische Gefangene befanden, folgten. Im Bereich des heutigen Mecklenburg-Vorpommern waren das Ravensbrück, Neubrandenburg, Malchow und das Zuchthaus Bützow.
Die Fahrzeugkolonnen bestanden aus Fahrzeugen aller Art, Bussen, Lastkraftwagen und Transportfahrzeugen. In nächtlichen Aktionen hatte man sie mit einem weißen Anstrich, dem „Roten Kreuz“ in einem schwarzen Kreis und der schwedischen Flagge versehen.
Auch 1 000 jüdische Frauen vor Todesmarsch gerettet
In weiteren Verhandlungen am 20./21. April 1945 gibt Himmler die Zusage, dass 1 000 jüdische Frauen, zu Camouflagezwecken als Polinnen deklariert – freikommen. Ein weiteres Gespräch ist überliefert, nach dem Bernadotte, alle weiblichen Gefangenen, gleich welcher Nationalität, aus Ravensbrück abholen und nach Schweden mitnehmen konnte.
Damit begann eine der größten Hilfsaktionen des Schwedischen und Dänischen Roten Kreuzes in Mecklenburg, Vorpommern und Ravensbrück. Nach Verhandlungen mit einem Reichsbahnpräsidenten gelang es, einen Zug mit 50 Güterwagen zu beschaffen. In jedem der Wagen fanden ca. 60 Personen Platz, insgesamt waren es 3 989 Frauen, die nach 4 Tagen abenteuerlicher Fahrt am 29. April 1945 im Bahnhof von Lübeck ankamen. Entgegen allen bösen Erwartungen waren nur zwei Frauen unterwegs gestorben, einige wenige mussten ins Krankenhaus.
Mit dem „Geisterzug“ – wie er genannt wurde, ging es weiter nach Dänemark, von dort mit Personenwagen weiter in die Freiheit. Am 27.4. wurde das KZ Ravensbrück geräumt und sein Kommandant Suhren trieb die noch verbliebenen KZ-Häftlinge – man spricht von 18- 30 000 – auf den Todesmarsch.
Trotz strikter Geheimhaltung Kontakte mit der Bevölkerung
Die Fahrten fanden unter großen Schwierigkeiten und absoluter Geheimhaltung statt. In der Regel fuhr man bei Hin- und Rückfahrten über Lübeck, weiter über Wismar und Sternberg, am Plauer See, am Kölpinsee und an der Müritz vorbei. Bei einer der Rückfahrten beispielsweise verursachte das Durcheinander in Waren einen längeren Aufenthalt.
Es wird auch von einer jungen Schwedin berichtet, verheiratet mit einem deutschen Offizier. Der Aufforderung mitzukommen, konnte und wollte sie nicht folgen, da ihr Mann schwer verletzt und nicht transportfähig wäre. Daraus ist zu schließen, dass es Kontakte mit der Bevölkerung gab. Einzelnen Berichten zufolge, wurden auch hin und wieder Inhalte aus mitgeführten Paketen verteilt.
Den gleichen Weg nahmen die Busse in der Regel auch wieder zurück. Im Wald wurde übernachtet und in einem Fall beschloss man, den Konvoi zu teilen, einer fuhr über Schwerin, der andere über Wismar. Einer dieser Transporte kam wohlbehalten in Neuengamme an während der über Schwerin beschossen wurde. Das war am 25. April 1945. Am gleichen Tage wurde auch der aus dänischen Krankenwagen bestehende zweite Konvoi bei Wismar angegriffen. Von den vier Menschen, die dabei starben und zehn Schwerverletzten fehlt bis heute jeder Nachweis.
Erinnerungen von Zeitzeugen gesucht
Vielleicht kann sich doch der eine oder andere an diese Zeit vor 69 Jahren erinnern und Interessantes dazu mitteilen, zu den Fahrten der „Weißen Busse“, zur Hilfe von Menschen wie z. B. der Plauer Pastor August Wiegand aus Parchim, der in der NSZeit über Konfessionsgrenzen hinweg Bedrängten half.
Bis heute fehlen Angaben zu dem Lauf des Zuges, der am 25.4. Ravensbrück verließ. Vielleicht gibt es noch Eisenbahner, die sich dieses Zuges, der drei bis vier Tage unterwegs war, erinnern. Während dieses Zeitraumes muss er häufig auf verschiedenen Bahnhöfen oder auf der freien Strecke hin und her rangiert worden sein, um Militärzügen oder Angriffen auszuweichen. Leider ist über seine Fahrt nichts bekannt. Wichtig ist alles an Erinnerungen und Hinweisen zu dieser Zeit März– April 1945.
Das Erinnern an die Schrecken des Nationalsozialismus, aber auch an solche mutigen Aktionen bleibt hochaktuell: Es kann und darf nicht sein, dass wiederum um uns Andersdenkende, Menschen anderer Hautfarbe und anderer Glaubensrichtungen verfolgt, gequält und ermordet werden.
Quelle: Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung Nr. 19/2014