"Erleichtert, aber nicht glücklich" Verfahren gegen Jenaer Jugendpfarrer Lothar König eingestellt

Von Luise Poschmann

11.11.2014 · Dresden. Der Jenaer Jugendpfarrer Lothar König muss nicht wieder vor Gericht. Fast drei Jahre nach der Anklage wegen schweren Landfriedensbruchs ist das Verfahren eingestellt worden. Grund dafür ist möglicherweise ein neues Gutachten.

Der Jenaer Stadtjugendpfarrer Lothar König (60) muss nicht erneut vor Gericht. Das Strafverfahren wegen schweren Landfriedensbruchs wurde am Montag gegen eine Geldauflage eingestellt, wie die Anwälte des evangelischen Theologen mitteilten. König war vorgeworfen worden, im Februar 2011 bei einer Anti-Nazi-Demonstration in Dresden zur Gewalt gegen Polizisten aufgerufen zu haben. Ein erster Prozess vor dem Amtsgericht Dresden war im Sommer 2013 geplatzt, die Verteidigung hatte nach eigenen Angaben schon damals eine Einstellung des Verfahrens beantragt.

König sagte, er sei "erleichtert, aber nicht glücklich" über die Einstellung, da das gesamte Verfahren sehr viele Energien verschlungen habe - nicht zuletzt finanzielle. Als Motiv für seine Zustimmung zur Verfahrenseinstellung hatte der 60-Jährige unter anderem angegeben, er wolle einen Beitrag zum Rechtsfrieden leisten. Die Geldauflage besteht aus insgesamt 3.000 Euro, die je zur Hälfte an den Justiz-Fiskus des Freistaates Sachsen und an den Kirchenbezirk Dresden-Mitte gezahlt wird. Die Gerichtskosten trägt die Landeskasse.

Er werde versuchen, nun wieder auf ein "Normalmaß" zu kommen und seine abhanden gekommene Leichtigkeit wiederzugewinnen, sagte König. Seit der Anklage waren fast drei Jahre vergangen. Eine juristische Auseinandersetzung steht laut König aber noch an: Die Kirchengemeinde werde sich darum bemühen, dass die Kosten für den beschlagnahmten VW-Bus ("Lauti") zurückerstattet werden.  

Grund für die Einstellung des Verfahrens zum jetzigen Zeitpunkt könnte nach Angaben von Königs Verteidigern ein erst kürzlich vom Gericht eingeholtes Gutachten des Brandenburger Landeskriminalamts (LKA) sein. Dieses habe erwiesen, "dass die Angaben der Verteidigung über das von Lothar König tatsächlich über den Lautsprecherwagen Gesagte zutreffend waren." Deshalb sähen die Justizverfolgungsbehörden in Dresden heute keine "Schuld" des Pfarrers mehr, die eine weitere strafrechtliche Verfolgung rechtfertigen würden. Die Pressestelle des Amtsgerichts war am Montagabend nicht für Äußerungen über die Verfahrenseinstellung erreichbar.

Auch die sogenannte Soligruppe JG-Stadtmitte, die König in dem Verfahren unterstützt hatte, zeigte sich am Montag erleichtert über die Einstellung gegen eine Geldauflage. "Die Annahme der Einstellung ist kein Schuldeingeständnis - sie zeigt, dass die Verteidigung von Anfang an Recht hatte: Es lag kein strafrechtlich relevantes Verhalten von Lothar König vor", erklärten die Unterstützer. "Die neuen Beweismittel in Form einer Tonspuranalyse durch das LKA Brandenburg scheinen die Staatsanwaltschaft nun endlich auch überzeugt zu haben", vermutete Gruppen-Sprecher Oliver Preuss.

Besorgt zeigten sich die Unterstützer jedoch über das gesamte Justizverfahren. Die Dauer und Intensität des Prozess gegen König deckten nicht alle Probleme der sächsischen Justiz auf, erklärte die Soligruppe, insbesondere mit Blick auf den ersten Prozess: Diese mit zum Teil widersprüchlichen Zeugenaussagen gespickte Verhandlung war geplatzt, weil der Verteidigung rund 200 Stunden Videomaterial vorenthalten worden waren.

Quelle: epd


Chronologie - Vom Lautsprecherwagen ins Amtsgericht

 19. Februar 2011: Rund 3.000 Neonazis versammeln sich in Dresden zu ihren alljährlichen Aufzügen zum Kriegsgedenken. Tausende Gegendemonstranten und Linksautonome blockieren erfolgreich mehrere genehmigte Aufmärsche der Rechten. Vor allem zwischen Gegendemonstranten und Polizei kommt es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit vielen Verletzten. Unter den Gegendemonstranten ist auch der Jenaer Jugendpfarrer Lothar König.

 20. Februar 2011: Dresdens Polizeipräsident Dieter Hanitsch kündigt aufgrund der Krawalle vom Vortag die Bildung einer "Sonderkommission 19. Februar" an.

 19. Juni 2011: Die Berliner "tageszeitung" berichtet über die massenhafte Erfassung von Handydaten im Umfeld der Demonstrationen. Die Behörden beziffern die Zahl der erfassten Datensätze auf über eine Million. Das Vorgehen führt zu heftiger Kritik an der sächsischen Landesregierung, der überzogene und rechtsstaatlich fragwürdige Methoden vorgeworfen werden. Der Freistaat rechtfertigt die Ermittlung mit der Verfolgung schwerer Gewalttaten.

 27. Juni 2011: Dresdens Polizeipräsident Dieter Hanitsch wird versetzt. Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU), selbst unter Druck, begründet dies mit Informationsdefiziten im Zusammenhang mit der Daten-Erfassung.

 10. August 2011: Sächsische Polizisten nehmen eine Razzia in den Dienst- und Privaträumen des Jenaer Jugendpfarrers Lothar König vor. Ihm wird "aufwieglerischer Landfriedensbruch" vorgeworfen. Der Pfarrer soll am 19. Februar mit einem auf dem Autodach montierten Lautsprecher mit Musik und Rufen die Massen gegen die Polizei aufgewiegelt haben. König bestreitet dies. Es kommt zu Irritationen mit Thüringen, das sich nicht ausreichend informiert sieht. Die evangelische Bischöfin Ilse Junkermann bezeichnet den Einsatz gegen König als "skandalös".

 23. August 2011: Nach einer Ausschusssitzung im Landtag wird bekannt, dass ein weiteres Verfahren gegen König eingestellt wurde. Es geht um den nicht näher erklärten Vorwurf der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung. Er soll angeblich einer linken Schlägertruppe angehört haben.

 8. Dezember 2011: Es wird bekannt, dass die Staatsanwaltschaft Dresden Anklage gegen Lothar König wegen schweren Landfriedensbruch erhoben hat.

 13. Januar 2012: Unterstützer starten eine Spendensammlung für den angeklagten Jugendpfarrer König.

 13. Februar 2013: König nimmt erneut an den Protesten gegen Neonazis in Dresden teil.

 18. März 2013: Unmittelbar vor Beginn wird der Prozess gegen König am Dresdner Amtsgericht überraschend verschoben. Hintergrund ist das Auftauchen neuer Unterlagen - angeblich mehr als 170 Seiten ungeordneten Materials. Der Prozessbeginn wird auf den 4. April festgesetzt.

 27. März 2013: Königs Rechtsanwalt Johannes Eisenberg zeigt die Staatsanwaltschaft wegen des Aktenfundes an und legt eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Unbekannt ein.

 4. April 2013: Der Prozess gegen König beginnt.

 1. Juli 2013: Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) zeigt sich auf einer Pressekonferenz in Dresden solidarisch mit König. Kirchliche Initiativen starten eine Postkarten-Aktion gegen Rechtsextremismus. Eine Postkarte hat als Motiv ein König-Porträt. Mit der Aktion wird auch die sofortige Einstellung des Verfahrens gegen den Pfarrer gefordert.

 2. Juli 2013: Der Prozess gegen König ist geplatzt. Vorangegangen war ein Aussetzungsantrag der Verteidigung, nachdem ihr 200 Stunden unsortiertes Videomaterial von einer Polizei-Sonderkommission übergeben worden war. Das Verfahren soll in vier bis sechs Monaten wieder aufgerollt werden.

 16. Januar 2014: Die evangelische mitteldeutsche Kirche kritisiert den schleppenden Fortgang des Prozesses. Zugleich stellt sie sich hinter Lothar König.

 13. Februar 2014: König nimmt wieder an den Protesten gegen Neonazis in Dresden teil. 

 11. März 2014: Lothar König feiert seinen 60. Geburtstag.

 14. Juni 2014: Das Theaterstück "Ein Exempel - Mutmaßungen über die sächsische Demokratie" hat in Dresden Premiere. Erfolgsautor Lutz Hübner greift Ermittlungsverfahren und Anklagen gegen Blockierer und Anti-Nazi-Demonstranten rauf. Deutlich inspiriert ist das Stück auch vom geplatzten Prozess gegen Lothar König.

 30. Juli 2014: Das Amtsgericht Dresden terminiert die Neuauflage des König-Prozesses auf den 10. November. Weitere Termine werden bis Mitte Dezember festgelegt. 

 August 2014: Die Kennzeichen des Lautsprecherautos ("Lauti"), das im Zusammenhang mit der umstrittenen Hausdurchsuchung bei Pfarrer Lothar König im August 2011 beschlagnahmt wurde, werden freigegeben. Eine Entscheidung über eine Freigabe des Autos wird erst mit Ende des Prozesses erwartet.

 4. November 2014: Die Neuauflage des Prozesses wird verschoben. Die Verteidigung hatte den Aufschub beantragt. Als neuer Termin war der 26. November vorgesehen.  

 10. November 2014: Der Prozess gegen Lothar König wird gegen Geldauflage eingestellt.