Gottesbezug in der Verfassung? Schleswig-Holstein entscheidet an diesem Mittwoch über eine neue Landesverfassung

08.10.2014 · Kiel.

Zu den Knackpunkten der neuen Verfassung für Schleswig-Holstein, über die im Kieler Landtag an diesem Mittwoch wohl abschließend entschieden wird, gehört die Bezugnahme auf Gott in der Präambel. Verträgt es sich mit dem Anspruch eines weltanschaulich neutralen Staates, dass im Vorspruch für einen Verfassungstext, der im wesentlichen Staatsziele formuliert und institutionelle Fragen regelt, auf Gott verwiesen wird, lautet eine der Streitfragen.

Von den Verfassungen der 16 Bundesländer enthalten sieben einen ausdrücklichen Gottesbezug. Auch das Grundgesetz, das der Parlamentarische Rat vorbereitete und das 1949 in Kraft trat, verweist in der Präambel auf die "Verantwortung vor Gott und den Menschen". Präambeln seien in den deutschen Verfassungen der Nachkriegszeit etwa Typisches, sagt Werner Weinholt. Der evangelische Theologe hat über den Gottesbezug in der deutschen Verfassungsgeschichte seit 1945 geforscht und darüber seine Doktorarbeit geschrieben.

Weder die Paulskirchenverfassung von 1848 noch die Weimarer Verfassung von 1919 enthielten eine Präambel mit einem Gottesbezug, erläutert Weinholt, seit März Leitender Theologe der Paul Gerhardt Diakonie mit Sitz Berlin. In älteren Verfassungstexten findet sich mit Bezug auf den Monarchen zumeist eine Formulierung vom "Gottesgnadentum", das eher einer "Anrufung Gottes" entspricht, wie sie bis heute etwa Teil der Verfassungspräambeln der Schweiz oder Irlands sind.

Der Gottesbezug im Grundgesetz und in den Länderverfassungen - gegen Bedenken vor allem von liberalen Politikern wie etwa des späteren Bundespräsidenten und evangelischen Christen Theodor Heuss durchgesetzt - ist Weinholt zufolge eine Reaktion auf die Erfahrungen der Nazi-Zeit und des Zweiten Weltkrieges. "Die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Diktatur und ihrem bis ins Grenzenlose gesteigerten Selbstwahn sollte auf diese Weise geführt und ihr eine nachträgliche Absage erteilt werden", argumentiert Weinholt. Er weist daraufhin, dass trotz der Einwirkung von Repräsentanten christlicher Kirchen auf die Verfassungsberatung zumeist eine für unterschiedliche Bekenntnisse und Religionen offene Formel beim Gottesbezug gewählt wurde.

Ein Sonderfall bildet das Saarland, das 1957 der Bundesrepublik beitrat. Die Landesverfassung des eigenständigen Saarstaates von 1947 enthielt in der Präambel mit der Formel "in Ehrfurcht vor Gott" einen Gottesbezug. Im Zuge des Beitritts des Saarlandes zur Bundesrepublik wurde die Präambel, die auch eine Bindung an Frankreich enthielt, ersatzlos gestrichen.

Zu öffentlichen Debatten über den Gottesbezug kam es erst wieder nach der deutschen Wiedervereinigung 1990. Zwei der fünf Ost-Länder - Sachsen-Anhalt und Thüringen - verankerten in ihrer Verfassung eine Bezugnahme auf Gott - allerdings in abgeschwächter Form wegen des geringen Rückhalts der Kirchen in der Bevölkerung, wie Weinholt vermutet. Parallel gab es Bestrebungen auf Bundesebene, den Gottesbezug aus der Grundgesetz-Präambel zu streichen. Ohne Erfolg machten sich dafür in der gemeinsamen Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat ostdeutsche Grünen-Politiker wie der Theologe Wolfgang Ullmann stark.

Auch im Westen wurde nach der deutschen Einheit in Ländern, die bis dahin mit einer vorläufigen Landesverfassung auskamen, über einen Gottesbezug diskutiert. So verabschiedete der Landtag von Niedersachsen im Mai 1993 eine Verfassung, die weder eine Präambel noch eine Bezugnahme auf Gott enthielt. Über eine Volksinitiative, die von Theologieprofessoren angeregt und von den Kirchen und den jüdischen Gemeinden unterstützt wird, gelangte 1994 Gott doch noch in die niedersächsische Verfassung.

Hingegen blieben Interventionen der christlichen Kirchen zugunsten eines Gottesbezuges in der Verfassung der Europäischen Union, über die ab 2000 beraten wurde, ohne Erfolg. Die in langwierigen Beratungen des Verfassungskonvents erreichte Formulierung, die nun den Vertrag von Lissabon einleitet, ist ein Minimalkonsens und lautet: "Schöpfend aus dem kulturellen, religiösen und humanistischen Erbe Europas, aus dem sich die unverletzlichen und unveräußerlichen Rechte des Menschen sowie Freiheit, Demokratie, Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit als universelle Werte entwickelt haben..." In der Präambel zur Charta der Grundrechte der Europäischen Union wird nur das "Bewusstsein ihres geistig-religiösen und sittlichen Erbes" erwähnt.

Quelle: epd