Bundespräsident Gauck diskutiert mit Schülern Georg Elser "seelisch adoptieren"

Von Nadine Emmerich

24.04.2015 · Berlin. Bundespräsident Joachim Gauck schaute mit Schülern gemeinsam den Kinofilm "Elser". Die Geschichte über den gescheiterten Hitler-Attentäter kann auch das Staatsoberhaupt in Rage bringen - weil das simple Wegschauen heute wieder aktuell ist.

Als erstes legt Bundespräsident Joachim Gauck am Mittwochabend im Berliner Zoo Palast ein kleines Geständnis ab: Auch er habe den Namen des gescheiterten Hitler-Attentäters Georg Elser erst als Erwachsener gehört, erzählt Gauck vor knapp 700 Schülern. Anders als die Verschwörer des 20. Juli 1944 wurde der Schreiner aus dem schwäbischen Königsbronn viele Jahre kaum gewürdigt. Oliver Hirschbiegels aktuelles Drama "Elser", das Gauck zusammen mit Schulklassen unter anderem aus Berlin, Schwerin und Münster schaute, ist nicht der erste Versuch, die Geschichte auf die Leinwand zu bringen - aber "ein sehr nachhaltiger", wie Gauck im anschließenden Gespräch mit den Jugendlichen betont.

Das Staatsoberhaupt weiß, wie er mit jungen Menschen sprechen muss, um Punkte zu sammeln. Er nennt Nazis "Gesocks" und beschreibt "die bösen Visagen" der NS-Schergen im Film. Am Ende der Fragerunde wird ihm ein Schüler bescheinigen, er sei "souverän und staatsmännisch" gewesen, habe aber auch versucht, "sich auf unsere Sprache einzulassen".

Das Podium, auf dem neben Gauck Regisseur Hirschbiegel ("Der Untergang"), Hauptdarsteller Christian Friedel, Drehbuchautor Fred Breinersdorfer und der Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Johannes Tuchel, sitzen, muss teilweise schwierige Fragen der Schüler beantworten: Wenn Hitler bei Elsers Bombenanschlag am 8. November 1939 im Münchner Bürgerbräukeller getötet worden wäre, wäre dann nicht sofort der nächste Nazi-Schurke an die Macht gekommen? Müssen wir Elser als Vorbild oder als Attentäter sehen? Sollten wir rechtsextremistische Parteien wie die NPD verbieten? Und wäre ein möglicher Anschlag auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin in 70 Jahren auch einen Film wert?

Gauck wägt seine Antworten sorgfältig ab. Er will Elser würdigen, aber bloß nicht missverstanden werden, politische Probleme ließen sich "mit Dynamit" lösen. Es brauche immer "innere Kämpfe", um ein Attentat zu bejahen, sagt er - auch wenn es um den Mord an einem Tyrannen wie Hitler gehe. Elser habe die Gräuel des Zweiten Weltkriegs früh vorhergesehen. Sein Handeln sei jedoch "keine Regieanweisung", so mit allen umzugehen, die einem politisch nicht gefielen. "Dieser Film macht keine Reklame für ein Attentat."

"Elser" erinnert an das tragische Schicksal des Mannes, dessen Bombe zwei Monate nach dem Überfall Deutschlands auf Polen 13 Minuten zu spät hochging, um die NS-Führungsriege in die Luft zu jagen. "Er hätte die Welt verändert", heißt es im Untertitel des Films. Stattdessen starben acht Unschuldige. Elser landete im Konzentrationslager Dachau und wurde kurz vor der Befreiung durch US-Truppen am 9. April 1945 von SS-Leuten erschossen. Der Film, der im Wettbewerb der Berlinale lief und mit dem Bayerischen Filmpreis ausgezeichnet wurde, schildert auch, wie sich die Nazis in Elsers Heimatdorf breit machten, und der Schreiner zum einsamen Widerstandskämpfer wurde.

Die stärkste Szene des Films ist für den Bundespräsidenten die, als Elser im Verhör gefoltert wird, laut schreit - und die Protokollantin vor der Tür seelenruhig ihr Buch liest. So erschreckend einfach kann Wegschauen sein. Er würde sich wünschen, dass die Schüler zu Hause aufschrieben, was sie während dieser Filmszene gefühlt hätten, gibt Gauck dem jungen Publikum indirekt als Hausaufgabe mit auf den Weg.

Denn "Elser" ist auch ein Film über das deutsche Mitläufertum und über das Nichts-gewusst-haben. Das lässt Gauck am Mittwoch auch mal heftiger werden. Er war fünf Jahre alt, als der Krieg zu Ende ging. Er ist damit aufgewachsen, Fragen zu stellen und auf Schweigen zu stoßen. In den Schulen gebe es jedoch seit mehr als zwei Jahrzehnten Bemühungen, "dass keiner mehr an diesem Thema vorbeikommt", betont er. Und beklagt auch mit Blick auf zunehmende Fremdenfeindlichkeit in Deutschland: "Es gibt so etwas wie ein absichtliches Nicht-wissen-wollen." Ungeachtet von "Pegida" und Tröglitz ist Gauck jedoch überzeugt, "dass wir stark genug sind, sie im Zaum zu halten" - "ob mit NPD-Verbot oder ohne".

Immer wieder werben die Redner auf der Bühne für "friedlichen Widerstand". Elser habe ihn wegen seines Mutes zum Andersdenken und seines klaren Blicks für seine Umgebung inspiriert, sagt Hauptdarsteller Friedel - der auch erst mit Lesen des Drehbuchs mit Elser vertraut wurde. "Ich war da früher auch bequemer", räumt der aus Magdeburg stammende und in Dresden lebende Schauspieler ein. Drehbuchautor Breinersdorfer sagt, er wolle vor allem Jugendliche ansprechen, die in Elser hoffentlich "einen von ihnen" sähen und ihn "seelisch adoptieren".

Quelle: epd