„Wohin sollen wir gehen?“ Klare Kante gegen die Stasi - Heinrich Rathke hat seine Autobiografie veröffentlicht
Von Anne-Dorle Hoffgaard
Foto: C. Meyer
06.01.2015 · Schwerin. Die Stasi biss bei Landesbischof Rathke auf Granit. Auf einem Motorrad verfolgte er sogar die Polizei, um einen Bauern zu retten. Nach 13 Jahren als Bischof wurde er wieder Gemeindepastor - alles nachzulesen in seiner neuen Autobiografie.
Heinrich Rathke (86) war ein unkonventioneller und mutiger Bischof. Insbesondere sein Verhältnis zur DDR-Staatssicherheit (Stasi) war klar und offen. Zwei Stasi-Leute, die ihm kurz vor seinem Amtsantritt als mecklenburgischer Landesbischof eine Zusammenarbeit vorschlugen, ließ er mit knappen Worten abblitzen: "Meine Herren, ich gedenke unsere kirchlichen Angelegenheiten ohne ihre Mitarbeit zu regeln." Rückblickend sagt er heute: "Damit waren die Fronten klar." Vor wenigen Wochen ist seine 200-seitige Autobiografie "Wohin sollen wir gehen?" erschienen.
Mit der Stasi hatte Rathke zuvor schon langjährige Erfahrungen gemacht. Als Gemeindepastor in Warnkenhagen (bei Güstrow) 1960 erfuhr er, dass ein Bauer aus der Nachbarpfarre wegen Widerstands gegen die Zwangskollektivierung verhaftet wurde. So fuhr er kurz entschlossen auf dem Motorrad hinterher - und landete selbst für einige Tage im Gefängnis. Als in den 60er Jahren - Rathke war inzwischen Pastor im Neubaugebiet Rostock-Südstadt - ein kirchlicher Mitarbeiter von der Stasi bedrängt wurde, tauschte Rathke die Rollen, erschien selbst beim nächsten konspirativen Stasi-Treff und beendete die Zusammenarbeit.
Er war auch ein tatkräftiger Bischof: Als er einen pensionierten Pastor besuchte, der die ganze Zeit darüber nörgelte, dass es die Baudienststelle seit Wochen nicht schafft, den Dachstein seines Pastorats zu ersetzen, stieg der Landesbischof kurzentschlossen selbst auf die Leiter und wechselte den Dachziegel aus.
Klare Worte an Honecker
Beim Besuch von Bundeskanzler Helmut Schmidt beim DDR-Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker am 13. Dezember 1981 im Güstrower Dom ließ es sich Landesbischof Rathke nicht nehmen, Klartext zu reden. Am Ausgang sagte er Honecker "noch unter vier Augen unverblümt und direkt", was die Kirche in der DDR bedrückte: die Drangsalierung der Jugend, die Militarisierung und die Bedrängnis durch die Stasi.
Dabei hätte sich der im mecklenburgischen Mölln (bei Neubrandenburg) geborene Pastorensohn eine Menge Ärger ersparen können, wenn er 1953 nicht in die DDR zurückgekehrt wäre. Nach seiner Entlassung aus englischer Kriegsgefangenschaft machte er in Lübeck Abitur und absolvierte in Kiel, Erlangen und Tübingen sein Theologiestudium. Um dem Pastorenmangel in der DDR abzuhelfen, gehörte Rathke zu den rund 80 bis 100 Theologen, die nach Ostdeutschland zogen.
Vor allem der Kontakt zu den Gemeinden war Rathke wichtig. Auf manche privilegierte Auslandsreise und Repräsentation verzichtete er, um genügend Zeit für Besuche in seiner Landeskirche zu haben. Er führte einen monatlichen Sprechtag ein, an dem ihn jeder auch unangemeldet in seiner Bischofswohnung im Schweriner Schleifmühlenweg besuchen konnte. In den 70er Jahren feierte Rathke gemeinsam mit seinem katholischen Amtskollegen in Althof bei Bad Doberan den ersten ökumenischen Gottesdienst in Mecklenburg.
"Rückkehr aus dem Exil"
Nach seiner Bischofszeit von 1971 bis 1984 wurde Rathke wieder Gemeindepastor in Crivitz (bei Schwerin). Für ihn sei es wie eine "Rückkehr aus dem Exil" gewesen, sagt er heute. Dabei war er 1970 eigentlich auf Lebenszeit gewählt worden. Doch gleich nach der Wahl kündigte er an, sein Amt in absehbarer Zeit wieder zur Verfügung stellen zu wollen.
In Crivitz wirkte er dann auch an der Enttarnung von heimlichen Stasi-Stützpunkten mit. Sogar Morddrohungen seien daraufhin bei ihm eingegangen, berichtet Rathke. Doch obwohl er viele Stasi-Aktivitäten zu DDR-Zeiten mitbekam, gibt er in seinen Lebenserinnerungen zu, völlig unterschätzt zu haben, "welch großes Heer von 'Inoffiziellen Mitarbeitern (IMs)' umherschwirrte". Allein auf seine Familie seien weit über 100 Stasi-Spitzel angesetzt gewesen.
Im Ruhestand kümmerte er sich in besonderer Weise um die russlanddeutschen Gemeinden in Mittelasien. Im Rahmen dieser Arbeit war er von 1991 bis 1994 Bischöflicher Visitator von Kasachstan. Er lebt heute in Schwerin.
Quelle: epd
Heinrich Rathke: „Wohin sollen wir gehen?“ Der Weg der Evangelischen Kirche in Mecklenburg im 20. Jahrhundert. Herausgegegen von Wolfgang Nixdorf, Dietlind Glüer, Eberhard Erdmann und Jens Langer. Lutherische Verlagsgesellschaft, Kiel 2014. ISBN 978-3-87503-173-7, 17.95 Euro.
Online bestellen: www.kirchenshop-online.de/wohin-sollen-wir-gehen.html
Jahrbuch für Mecklenburgische Kirchengeschichte MECKLENBURGIA SACRA
„Kirche für andere — Kirche mit anderen“ - Festschrift für Dr. Heinrich Rathke zum 85. Geburtstag Herausgegeben von Gerhard Altenburg und Karl-Matthias Siegert unter Mitarbeit von Christian Meyer und Johann Peter Wurm. Redarius Verlag, Wismar 2014 c/o Pressestelle Kirchenkreis Mecklenburg, Bei der Nikolaikirche 1 18055 Rostock, E-Mail: pressestelle@elkm.de, ISBN 978-3-941917-07-1, Verkaufspreis: 18.90 Euro