Mindestlohn erschwert Integration von Menschen mit Behinderungen Zwischen Mandat und Markt
Von Tilman Baier
15.03.2015 · Dobbertin. „Diakonie ist Wesens- und Lebensäußerung der Kirche. Diakonisches Handeln hat Teil an dem Auftrag der Kirche, das Evangelium in Wort und Tat zu verkündigen“, so heißt es im Paragraph 212 der Nordkirchenverfassung. Doch die Diakonie arbeitet auch im Spannungsfeld zwischen einem Mandat für die Schwachen in der Gesellschaft sowie Marktgesetzen und politischen Vorgaben – wie zum Beispiel das Diakoniewerk Kloster Dobbertin.
In offiziellen Statements haben die Kirchen die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 Euro begrüßt. Doch dort, wo kirchliche Betriebe, vor allem Einrichtungen der Diakonie, im Wettbewerb stehen oder auf eine Refinanzierung durch den Staat oder Pflegekassen angewiesen sind, kommt es nun auch zu Problemen. So muss die „Kloster Dienstleistungsgesellschaft “, eine gemeinnützige GmbH (gGmbH) und gemeinsame Tochter des Diakoniewerkes Kloster Dobbertin, der Vorwerker Diakonie (Lübeck) und des Diakoniewerkes im Nördlichen Mecklenburg, zum 30. April ihre Integrationsprojekte im Mecklenburger Bereich komplett schließen.
Das betrifft die Geschäftsfelder Garten- und Landschaftsbau, Tischlerei und Gastronomie mit insgesamt sechs Mitarbeitern. Der außerdem betriebene CAP-Lebensmittelmarkt, in dem sechs Mitarbeiter tätig waren, konnte in der bestehenden Form bereits zum 1. Januar in die Dobbertiner Werkstätten integriert werden.
Eine vergleichbare Lösung habe sich für die anderen Projekte nicht ergeben, so die Leitung der Kloster Dienstleistungsgesellschaft gGmbH. Man habe das zuständige Landesamt für Gesundheit und Soziales bereits im Oktober 2014 über die Situation informiert und sich bemüht, für die Mitarbeitenden eine berufliche Perspektive zu finden. Da letztendlich keine Möglichkeit zur Fortführung der Projekte gefunden worden sei, stellt die Gesellschaft ihre letzten Aktivitäten im Mecklenburger Bereich nun endgültig zum 1. Mai ein.
Die Medienschelte kam prompt: Das Diakoniewerk Dobbertin wolle kaltherzig sechs behinderte Mitarbeiter in die Arbeitslosigkeit schicken, war der Tenor eines Berichts in der Regionalausgabe der Schweriner Volkszeitung für Sternberg und Umgebung vom 5. März. Zitiert wird auch Christian Moeller, Pressesprecher des Sozialministeriums in Schwerin: Die Schließung des Integrationsprojektes Dobbertin habe in keiner Weise mit dem Mindestlohn zu tun – das Projekt befinde sich schon seit einigen Jahren in wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Und ein beigefügter Kommentar schließt mit dem Satz: „Auch die Diakonie als Gesamt-Träger ist am Ende nur ein knallharter Arbeitgeber.“
"Eine Unverfrorenheit“
Angefragt von der Kirchenzeitung, will Hans Hopkes, Geschäftsführer des Diakoniewerkes Kloster Dobbertin, das so nicht stehen lassen: Die Tendenz des Artikels sei „eine Unverfrorenheit“, erklärt er. Diese Projekte seien vor rund elf Jahren aufgelegt worden, als die Politik noch voller Hoffnung war, dass behinderte Mitarbeiter auch in einem strukturschwachen Gebiet in den Ersten Arbeitsmarkt integrierbar seien. Allerdings habe sich von Anfang an gezeigt, dass es schwierig war, hier ausreichend Erlöse für die wirtschaftliche Stabilität der Gesellschaft zu erwirtschaften. Die Projekte seien schon in den letzten Jahren trotz gewährter Lohnkostenzuschüsse durch das Integrationsamt nur schwer finanzierbar gewesen – und seit dem 1. Januar durch den gesetzlichen Mindestlohn gar nicht mehr.
Um die wirtschaftliche Gefährdung eines weiterhin bestehenden Projektes der Gesellschaft in Lübeck zu vermeiden, hätten die drei Gesellschafter nun die Schließung der Projekte in Mecklenburg beschlossen, so Hopkes. Und man habe sich bemüht, eine sozialverträgliche Lösung für die Mitarbeiter zu finden, von denen mehr als die Hälfte schwerbehindert ist.
Gisela Hentschel, Leiterin der Klosterdienstleistungsgesellschaft sowie der Werkstätten des Diakoniewerkes, konkretisiert: Für zwei Mitarbeitende hätten sich andere Beschäftigungen im Diakoniewerk bzw. einer Tochtergesellschaft gefunden, ein Mitarbeiter werde bis zu seiner Berentung im Mai weiterbeschäftigt, ein weiterer Mitarbeiter hat einen Antrag auf Erwerbsunfähigkeitsrente gestellt. Für zwei Mitarbeitende habe sich leider keine Lösung ergeben.
Auch andere Träger sind durch den neuen gesetzlichen Mindestlohn betroffen. Sie seien „in ihrer Leistungsfähigkeit eingeschränkt“ oder gezwungen, bestehende Projekte ebenfalls zu beenden, berichtet Geschäftsführer Hopkes. Letztlich ist nun die Politik gefragt, Rahmenbedingungen zu schaffen, die es ermöglichen, dass behinderte Mitarbeiter auch bei Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns auf dem Ersten Arbeitsmarkt eine Anstellung finden..
Quelle: Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung Nr. 11/2015