"Kontrollierte Freiräume" Eine neue Studie untersucht die Rolle des Kabaretts in der DDR
Von Nicole Kiesewetter
Komisch-unterhaltend soll Kabarett sein - und vor allem gesellschaftskritisch. Dass gerade diese Form der Kleinkunst in der DDR lebendiger Teil der Kulturszene war, scheint auf den ersten Blick ungewöhnlich. Doch das Kabarett hatte viele Freiräume, sagt der Rostocker Historiker Christopher Dietrich. Für seine Doktorarbeit hat er alle zwölf Berufskabaretts der DDR unter die Lupe genommen, dazu 30 Amateur- und Untergrundkabaretts. Am heutigen Donnerstag (20 Uhr) stellt er sie in Rostock vor. Dabei ist Dietrich nicht nur Wissenschaftler, sondern selbst Kabarettist im Duo "Raab und Dietrich".
Die DDR sei ein undemokratischer Staat gewesen, der sich bemühte, seinen diktatorischen Charakter zu verbergen, sagt Dietrich. "In dieser Gesellschaftsordnung konnte es keine Freiheit der Kunst, sondern allenfalls Freiräume geben." Die Ensembles wurden kontrolliert, jedes Programm musste genehmigt und in einer Probeaufführung abgesegnet werden. Besonders hart schlug die Zensur in der Hauptstadt Berlin bei der "Distel" und in Dresden beim Kabarett "Die Herkuleskeule" zu.
Währenddessen sei es bei der Leipziger "Pfeffermühle" und den Magdeburger "Kugelblitzen" in den 70er und 80er Jahren recht freizügig zugegangen. "Da waren auch schon einmal Bemerkungen zu Gorbatschows Perestroika-Bewegung oder zur Berliner Mauer erlaubt." Doch selbstverständlich wurde das Treiben der Ensemble-Mitglieder überwacht. Das wichtigste Instrument des Staates waren dabei die inoffiziellen Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) innerhalb der Ensembles.
Amateurkabaretts, die in Privatwohnungen oder nicht-öffentlichen Spielstätten auftraten, standen unter viel stärkerer Beobachtung der Staatssicherheit als Berufsensembles. "Von ihnen ging aus Sicht des MfS besondere Gefahren für die sozialistische Gesellschaftsordnung aus", erläutert Dietrich. Das Rostocker Amateurkabarett "Rohrstock" beispielsweise war über die Jahre durchsetzt mit neun inoffiziellen Stasi-Mitarbeitern, darunter auch die beiden Leiter.
"Zersetzungsmaßnahmen" bei kirchlichen Laienkabaretts
Bei kirchlichen Laienkabaretts sei die Lage noch einmal anders gewesen, erläutert der 36-jährige Forscher. Aufgrund der gewissen Autonomie, die der Staat den Kirchen in der DDR zubilligte, war ein offensives Vorgehen dort nicht immer möglich. Stattdessen setzte die Staatssicherheit klassische "Zersetzungsmaßnahmen" ein: Inszenierte Beschwerden von Gemeindemitgliedern an die Kirchenleitung, Einberufung von Laienkabarettisten zum Armeedienst und gezielte Einschüchterungsversuche einzelner Akteure.
"Mit Blick auf die verschiedenen Zweige des Kabarettschaffens in der DDR kann man sagen, dass die Aktivitäten der Staatssicherheit umso höher wurden, je geringere Kontrollmöglichkeiten der Kulturpolitik bestanden", fasst Dietrich zusammen. Nahezu alle wesentlichen Interventionen und Verbote bei den offiziellen Amateur- und Berufskabaretts gingen auf die Funktionäre von Staat und Partei zurück. Bei den subkulturellen Gruppen dominierte hingegen das MfS.
Besonders gegenüber dem Berufskabarett war das Misstrauen der Staatssicherheit sehr begrenzt. Der Grund dafür liegt nach Einschätzung von Dietrich in der Eigenart der Gattung selbst. "Die Kabaretts vermittelten keine Geheimbotschaften, die Verschlüsselung war vielmehr Teil des Spielprinzips." Sie war so konstruiert, dass möglichst alle Zuschauer sie im gleichen Moment dekodierten - und lachten. Selbst wenn die zuständigen Funktionäre eine brisante Aussage im Vorfeld übersehen hatten, war sie spätestens in diesem Moment offenkundig.
"Kaum ein anderes Genre machte es den Kulturverantwortlichen und auch der Staatssicherheit so leicht, die unmittelbare Wirkung auf das Publikum zu erfassen", sagt Dietrich. In der Literatur, der bildenden Kunst und selbst im Theater waren die mutmaßlichen Intentionen und die Reaktionen der Leser oder Zuschauer zumeist viel schwerer zu erkennen. Dietrich: "Nicht zuletzt gingen auch viele Bürger nicht ins Kabarett, weil sie diese Form der gezähmten Satire grundsätzlich ablehnten."
Quelle: epd
Info
Literaturnachweis: Christopher Dietrich, Kontrollierte Freiräume. Das Kabarett in der DDR zwischen MfS und SED, Reihe "Diktatur und Demokratie im 20. Jahrhundert" der Forschungs- und Dokumentationsstelle MV in Rostock, be.bra Wissenschaftsverlag, 736 Seiten, 36 Euro.
ISBN: 3954100592
Buchvorstellung: 14. Januar, 20 Uhr, Buchhandlung Hugendubel Rostock