Talarschneider nimmt Maß "Ich fühle mich noch eher verkleidet" - Nordkirchen-Vikare bekommen ihren ersten Talar

Von Julia Fischer

Talarschneider nimmt Maß

Foto: Julia Fischer

19.11.2016 · Ratzeburg. Die neuen Nordkirchen-Vikare bekommen ihren ersten Talar. Dafür haben sie extra einen Maßschneider aus Nürnberg eingeladen, der von jedem sorgfältig Maß nimmt. Diese Amtskleidung werden sie vermutlich ihr ganzes Arbeitsleben lang tragen.

Die Details wollen gut überlegt sein, denn ein handgeschneiderter Talar hält etwa 35 Jahre. Darum haben sich die 15 jungen Theologen, die im September ihr Vikariat bei der Nordkirche begonnen haben, auch lange informiert und sich schließlich für Reinhard Albrecht entschieden. Der Franke hat ein Atelier in Nürnberg und schneidert seit fast 40 Jahren Amtskleidung für Geistliche. Er soll einfach der Beste sein, begründen die jungen Theologen, warum sie ihn und nicht einen Talar-Schneider aus Norddeutschland gewählt haben. So reiste er zum Predigerseminar nach Ratzeburg, einen Muster-Talar über dem Arm.

Ein Talar gleicht keineswegs dem anderen, daher stehen die jungen Theologen vor vielen Fragen: Welcher Stoff fällt am weichsten? Welchen Kragen soll der Talar haben? Hat er Taschen? Und: Was trägt man eigentlich drunter? Aufgeregt beraten sie sich und fragen den Profi. Der empfiehlt Satin eher als Wollserge für schlanke Personen. Und einen Stehkragen zum Einknüpfen findet er "einfach praktischer und haltbarer". Der elegant gekleidete Franke mit dem auffälligen Zwirbelbart und randloser Brille braucht etwa 20 Minuten zum Maß nehmen pro Person. "Das hängt davon ab, wie lange ich diskutieren muss", sagt er und zwinkert. 

"Das macht man nur ein Mal im Leben"

"Ich finde diesen Moment total aufregend", sagt Anna Cornelius, Vikarin in Hamburg-Bergedorf. "Das macht man schließlich nur ein Mal im Leben." Sie hat den Muster-Talar übergezogen und bittet ihre Kollegin, ein Foto zu machen. "Das schicke ich meinen Eltern." Sie fühlt sich gleich anders: "Der Talar bietet mir Schutz, ich trete als Person automatisch in den Hintergrund." Ihrer Kollegin Donata Cremonese aus Schwerin geht es ganz anders: Sie sei in der Rolle der Pastorin noch nicht angekommen und könne sich auch noch nicht vorstellen, bald als Pastorin vor der Gemeinde zu stehen. "Im Talar fühle ich mich noch eher verkleidet", sagt sie und kräuselt die Nase beim Blick in den Spiegel.

Natürlich hat Albrecht auch ganz praktische Tipps für die Vikare parat: "Beim Aufstehen muss man den Saum leicht anheben, sonst tritt man drauf und er reißt - oder man fällt auf die Nase." Er zeigt den Neulingen, wie man das Kleidungsstück am besten zusammenlegt und rät, ihn vor einer längeren Auszeit zu reinigen und nicht im Schrank aufzubewahren. "Motten lieben Talare, denn sie sind zu 100 Prozent aus Wolle." Alle fünf bis zehn Jahre sollte man einen Talar reinigen lassen, sagt er. Für 120 Euro wird ein bei ihm geschneidertes Gewand von Hand gewaschen und gebügelt, "Wartungsdienst" inklusive. Dann haften auch die Druckknöpfe wieder perfekt.   

Auch die Männer machen sich ungewohnt viele Gedanken über das neue Kleidungsstück. So aufgeregt wie die Kolleginnen sei er zwar nicht, "aber ich finde es sehr interessant", sagt Hans Hillmann aus Büchen. Er sieht es eher pragmatisch: "Wir suchen uns dieses Kleidungsstück ja nicht aus, es sucht uns quasi aus."

Preußischer Talar in Nordkirche üblich

Als "Anschaffung fürs Leben" bezeichnet es Kollegin Cornelius - auch aus finanzieller Sicht. Ein Talar kostet bei Albrecht 709 Euro. In der Nordkirche ist der preußische Talar üblich, für den berechnet er 60 Euro mehr, weil er dafür einen Meter mehr Stoff benötigt. Als alleinstehender Vikar im ersten Jahr verdient man etwa 1.200 Euro netto Euro im Monat. Da seien sie froh, dass sie von ihrer Kirche einen einmaligen Zuschuss für ihren Talar von 800 Euro bekommen, sagen die Vikare. Nicht jede Landeskirche gebe so viel dazu.

Der Protestant Albrecht hat das Schneiderhandwerk von seinem Vater gelernt und dessen Betrieb übernommen. Zum Talar schneidern kam er zufällig durch einen Kollegen aus der Innung. Seit 1979 hat er etwa 4.500 Talare gefertigt - nur für evangelische Pastoren. Aber auch viele Bischöfe, Landesbischöfe und Ratsvorsitzende hat er eingekleidet. Außerdem fertigt er besondere Maßkleidung und Trachten an. Früher war er auf Bayern beschränkt, seit ein paar Jahren versorgt er auch andere Landeskirchen. Das muss sein, denn die Nachfrage geht seit einigen Jahren zurück. Während er früher 230 pro Jahr verkaufte, sind es seit 2000 nur noch etwa 60 pro Jahr. Bundesweit gibt es laut Albrecht nur noch vier weitere Maßschneider, die Talare anfertigen.  

In seinem Atelier näht Albrecht etwa 16 Stunden an einem Talar. Ein kleines weißes Leinentuch, genannt Beffchen, gibt es zum Talar dazu. Jedes weitere kostet 25 Euro. Die Vikare müssen sich vorher nur entscheiden: schlicht, mit Lochmuster oder mit Kreuz? "Mit Kreuz ist mir too much", sagt eine Vikarin. Übrigens: Ein Talar hat links immer eine Tasche und rechts einen Eingriff. Das kommt aus der Zeit, als die Männer ihr Portemonnaie in der rechten Gesäßtasche trugen, weiß Albrecht. Das mussten sie bei der Kollekte schließlich schnell hervorholen können.

Quelle: epd