50. Gründungsjubiläum des DDR-Kirchenbundes Altbischof Noack: DDR-Kirchenbund prägte keine ostdeutsche Identität

Altbischof Axel Noack

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10.06.2019 · Halle. Altbischof Axel Noack hat die Zusammenarbeit der ostdeutschen Landeskirchen gewürdigt: "Im Vergleich mit den westdeutschen Kirchen war die Zusammenarbeit zwischen lutherischen und unierten Kirchen wesentlich weiter ausgeprägt."

In der Geschichte der evangelischen Kirchen in Deutschland bedeutet der 10. Juni 1969 einen historischen Einschnitt: Am 10. Juni jährte sich zum 50. Mal die Gründung des evangelischen Kirchenbundes in der DDR. Damit vollzogen die evangelischen Kirchen in der DDR die rechtliche und organisatorische Trennung von der gesamtdeutschen Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Der frühere Bischof der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen und Hallenser Theologieprofessor Axel Noack (69) schaut im Gespräch als Akteur und Zeitzeuge zurück auf die 22-jährige Geschichte des "Bundes".

Warum haben sich die ostdeutschen Landeskirchen 1969 entschlossen, eine eigene Dachorganisation zu gründen?

Noack: Es gab zwei, sehr unterschiedliche Motivationen: Zum einen gab es die strikte Erwartungshaltung des Staates auf Trennung von der gesamtdeutschen EKD. Dem wollten einige Kirchenvertreter entsprechen. In die offiziellen Kommentaren der neuen DDR-Verfassung von 1968 war der Satz von Bischof Moritz Mitzenheim eingegangen: "Die Staatsgrenzen der Deutschen Demokratischen Republik bilden auch die Grenze für die kirchlichen Organisationsmöglichkeiten." Zum anderen gab es Bestrebungen, die Kirchen in der DDR stärker zu einen, damit ein gemeinsamer Gesprächspartner für Verhandlungen mit der DDR-Regierung vorhanden wäre. Es war seit 1958 klar: Die DDR-Regierung würde nicht mit einem gesamtdeutschen Leitungsgremium verhandeln. Verhandlungen aber schienen unmittelbar bevorzustehen, denn die erwähnte neue Verfassung, die zu den Religionsgesellschaften fast nichts festschrieb, enthielt in Art. 39 den verführerischen Satz: "Näheres kann durch Vereinbarung geregelt werden." Niemand konnte ahnen, dass die DDR-Regierung überhaupt nicht an Verhandlungen dachte.

Hat das Herauslösen aus der gesamtdeutschen EKD die Verhandlungsposition gegenüber der DDR-Regierung verbessert?

Noack: Zunächst nicht, da die DDR zwar gern die Trennung der Kirchen von der EKD sah, aber einem Bund der Kirchen in der DDR als gemeinsamem Gesprächspartner kritisch gegenüberstand, weil sie lieber mit den Landeskirchen einzeln gesprochen und verhandelt hätte. Deswegen gab es im September 1969 auch massiven staatlichen Druck auf die erste Bundessynode zur Streichung des Art. 4 (4) der Bundesordnung, der an der "besonderen Gemeinschaft" zu den Kirchen in Westdeutschland festgehalten hat. Dem hat die Synode widerstanden. 1971 wurde die Bundesspitze erstmalig vom Staatsekretär für Kirchenfragen empfangen, was als Anerkennung des Bundes durch die DDR gewertet wurde.

Die von Bischof Albrecht Schönherr 1971 herausgegebene Formel der "Kirche im Sozialismus" war umstritten oder wurde bewusst fehlinterpretiert. Hat sich die Formel rückblickend in Ihren Augen bewährt?

Noack: Die Formel spielte im Leben der DDR-Kirchengemeinden eine viel geringere Rolle als die Medien heute vermitteln wollen. Eine Zeitschrift mit dem Titel "Kirche im Sozialismus" gab es nur im Westen. Die Formel war wahrlich kein Glücksgriff, aber auch nicht der große Sündenfall, als der sie heute gern gesehen wird. Niemand in der DDR wäre auf so eine Idee gekommen.

Was bedeutete das Treffen vom 6. März 1978 mit Honecker für die ostdeutschen Kirchen?

Noack: Es brachte einige Erleichterungen für die Kirchen, etwa bei der Seelsorge in staatlichen Altenheimen und in Gefängnissen. Vor allem aber erbrachte es "zitierfähige Äußerungen", also Aussagen Honeckers zur Gleichberechtigung christlicher Bürger, die in der Zeitung standen. Die Kirchen wurden außerdem damit überrascht, dass die SED anfing Martin Luther als Nationalhelden der DDR neu zu interpretieren und das Lutherjahr 1983 groß herausstellen wollte. Für Parteigenossen verunklarte es die ideologische Situation deutlich.

Haben die östlichen Landeskirchen durch die Gründung des Bundes eine eigene Identität entwickelt, die sie noch heute prägt?

Noack: Nicht wirklich. Weil diejenigen, denen es nur um die Trennung von den westdeutschen Kirchen zutun war, sehr zögerlich wurden, als es darum ging, nun auch als DDR-Landeskirchen enger zusammenzurücken und den Bund mit Leben zu füllen. Die Bildung einer Vereinigten Kirche in der DDR scheiterte kläglich. Dennoch: Im Vergleich mit den westdeutschen Kirchen war die Zusammenarbeit zwischen lutherischen und unierten Kirchen wesentlich weiter ausgeprägt. Im Jahre 1986 konnten alle ostdeutschen Kirchen eine "Gemeinsame Erklärung zu den theologischen Grundlagen der Kirche und ihren Auftrag in Zeugnis und Dienst" verabschieden, die sie gern auch in die wiedervereinigte EKD eingebracht hätten, was 1990/91 noch nicht möglich schien. Dass es aber bis 2015 - und im Zustimmungsprozess sogar bis 2019 - dauern würde, dass die Gliedkirchen die EKD wirklich als "Kirche" akzeptieren, hätte ich mir nicht vorstellen können. Da waren die Kirchen der DDR viel weiter.

Quelle: epd