"Sonst essen die Zwerge im nächsten Jahr mit" Regionalforscher untersucht Silvester- und Neujahrsbräuche in Vorpommern

Von Nicole Kiesewetter

31.12.2021 · Stralsund. Silvester und Neujahr sind von je her mit einer Reihe von Bräuchen verbunden. Im ländlichen Vorpommern standen dabei früher meist das Vieh und die Ernte im Mittelpunkt.

Wenn in der Silvesternacht die Mobilfunknetze glühen, weiß jeder: Es ist die Zeit der Neujahrswünsche für Familie und Freunde. Weniger bekannt ist vermutlich, dass es sich bei der Übermittlung von guten Wünschen zum neuen Jahr um eine Jahrhunderte alte Tradition handelt: „Im Stadtarchiv der Hansestadt Stralsund ist eine Reihe von Neujahrswünschen erhalten, die bereits aus dem 17. und 18. Jahrhundert stammen“, weiß Regionalforscher Gunnar Möller.

 

Möller ist tief eingetaucht in die regionalen Archive Vorpommerns und stellt in einem gerade erschienenen Buch Bräuche und Sitten zu Weihnachten und Silvester aus über fünf Jahrhunderten für den vorpommerschen Raum vor. Dazu gehörte es auch, dass die Neujahrswünsche in gebildeteren Kreisen auf Französisch oder Latein gehalten wurden. Vorgedruckte Neujahrswunschkarten gab es bereits im 18. Jahrhundert zu kaufen.

 

„Bei der ländlichen Bevölkerung war das sogenannte Neujahrsbacken noch bis weit in die Neuzeit hinein ein Muss in vielen pommerschen Familien“, sagt Möller, der im Hauptberuf die Untere Denkmalschutzbehörde in Stralsund leitet. Auf der Insel Rügen beispielsweise war es Brauch, an Silvester die Hände in Mehl zu halten, „sonst essen die Zwerge im nächsten Jahr mit“, heißt es in den alten Aufzeichnungen. Damit sei die Sorge zum Ausdruck gekommen, im kommenden Jahr keine ausreichende Ernte einzufahren. Möller: „Das noch heute übliche Pfannkuchenessen zu Silvester ist das letzte Überbleibsel dieses vielleicht schon vorchristlichen Brauchs.“

 

Von dem Neujahrsgebackenen hoben die Bauern etwas auf und man aß bis in den Mai davon in der Annahme, dass man dann keinen „Verdruss“ erlitt. Auch glaubte man seit dem Mittelalter, wenn man von dem Gebäck bis zum Ausschlagen der Bäume im Mai etwas zurückhielt, werde man keine Not im weiteren Jahr leiden. Den Mähern gab man zur Erntezeit im August ein Stück vom Silvesterkuchen mit. „Das sollte ihnen besondere Kraft verleihen.“

 

In manchen Regionen wurden am Silvesterabend auch Obstbäume bedacht: Ihnen wurde ein aus Stroh geflochtenes Seil um den Stamm gebunden, damit sie im neuen Jahr eine reiche Ernte gaben. Dies nannte man „den Baum beschenken oder Neujährchen schenken“. In das Seil kam mitunter auch eine kleine Münze und man sprach die beschwörenden Worte: „Appelboom ick binde di, nächstes Johr da dienst Du mi.“

 

Neben der Sorge um die nächste Ernte lag den Bauern auch das Wohlergehen ihres Viehs besonders am Herzen. „Für die Zeit um 1500 wird berichtet, dass die Bauern die zu Silvester anfallende Herdasche behielten und das Vieh damit bestrichen“, fand Möller heraus. Dies sollte die Tiere vor Krankheit und Schaden bewahren. Noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde in manchen vorpommerschen Haushalten die Neujahrsasche sorgfältig aufbewahrt, um als Mittel gegen Ungeziefer beim Vieh und auch gegen Erdflöhe zu dienen.

 

Wunsch und Gegenwunsch, aber auch Gabe und Gegengabe haben Möllers Forschungen zufolge über Jahrhunderte den Jahreswechsel in Vorpommern gekennzeichnet. Aber auch heute noch könne seiner Ansicht nach dem alten Silvesterspruch „aus vollem Herzen zugestimmt werden“: „En gaut Gewissen un'n warm Glas Punsch, dat is' de best' Sylvesterwunsch“.

Quelle: epd