"Staat und Kirche in der DDR" auf Tagung mit Zeitzeugen beleuchtet Aufarbeitung braucht Grautöne, Versöhnung Wahrheit

Von Christian Meyer

Pastor i.R Markus Meckel

Foto: C. Meyer

09.04.2022 · Salem. „Versöhnung braucht Wahrheit. Und Aufarbeitung braucht kein Schwarz-Weiß-Denken, sondern das Wahrnehmen von Grautönen“. So pointiert formulierte Pastor i.R. Markus Meckel seine Sicht auf das noch nicht aufgearbeitete, verschwiegene oder auch verdrängte Thema „Staat und Kirche zu DDR-Zeiten“. Ein Gesprächsforum in Salem fokussierte den Blick mit Zeitzeugen und Betroffenen auf Personen und Geschehnisse von 1980 bis 1990 im früheren evangelischen Kirchenkreis Malchin.

Ehrliche Aufarbeitung, die die dunklen Seiten nicht ausspart, tut weh. Geht man ihr aus dem Weg, brechen aber immer wieder Gräben auf, werden die Betroffenen stets aufs Neue verletzt. Diese Sichtweise führte bereits 2019 zum Projekt „Biografien politisch Verfolgter und Diskriminierter in Mecklenburg 1945 bis 1990“. Der Kirchenkreis Mecklenburg setzt seinen damals gemeinsam mit der Nordkirche und der Gesellschaft für Regional- und Zeitgeschichte gesetzten Impuls seither mit regionalen Gesprächsforen fort – aktuell im früheren Kirchenkreis Malchin. Dort entbrannten jüngst hitzige Diskussionen um den vor zwei Jahren verstorbenen Pastor Heinz Pulkenat aus Basedow, der zwischen 1978 und 1989 als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) „Herbert Puchalla“ umfangreich für das MfS berichtete und in dessen Auftrag Zersetzungsmaßnahmen umsetzte.

 

Christen waren erklärte Klassenfeinde

 

Rüdiger Timm, von 1976 bis 1996 Landessuperintendent in Malchin, erinnerte daran, dass dem SED-Staat alle Mittel beim Kampf gegen ausgemachte Klassenfeinde, wie Christen, recht waren. „Instrumentalisierung, Isolierung, Zersetzung, Disziplinierung bis hin zur Liquidierung waren die grausigen und brutalen Begriffe dafür“, so der Theologe. „Der Staat machte uns deutlich, dass er die Macht habe und die Kirche sich raushalten, quasi im eigenen Saft schmoren sollte, wie heute die Russisch Orthodoxe Kirche“, so Rüdiger Timm. „Mit der von Altbischof Heinrich Rathke formulierten Formel ,Kirche für Andere‘ waren wir aber dazu aufgerufen, dem entgegenzuwirken, gesellschaftliche Themen vom Evangelium her furchtlos anzusprechen, was natürlich zu Konflikten geführt hat.“ Vor allem viele junge Theologen, wie Markus Meckel – damals in Vipperow oder Gottfried Timm in Röbel, folgten der Formel und hätten einen offenen, unangepassten Blick auf die DDR-Wirklichkeit gelebt.

 

„Es war nicht immer konfliktfrei – auch mit der Kirchenleitung, aber wir konnten arbeiten in Mecklenburg“, bescheinigte Markus Meckel rückblickend. Es gab Gesprächskreise, wie die Arbeitsgruppe Frieden, in denen über Pazifismus oder Umweltprobleme diskutiert wurde. Und es habe regelmäßige Gespräche mit der mecklenburgischen Landeskirche gegeben, um auftretende Konflikte zu lösen. Aus den Friedenskreisen entwickelten sich später das „Neue Forum“ und die friedliche Revolution.

 

Differenzierter Blick und Beurteilung nötig

 

Vor diesem Hintergrund greift es laut Markus Meckel zu kurz, die Kirche in der DDR mit der Kategorie Opfer-Täter zu betrachten. Vielmehr müsse den Grautönen, der Botschaft Kirche zu sein und den Menschen gleichermaßen nachgespürt werden. Zudem spielten Erfahrungen vor 1945, wie in der Bekennenden Kirche (BK) eine Rolle. Dass viele Bischöfe in der russischen Besatzungszone der BK angehörten, habe dazu geführt, dass die Kirche als Widerstandsorganisation anerkannt war und sich zunächst relativ frei organisieren konnte, beispielsweise mit eigenen Gesetzen und Gerichtsbarkeit.

 

Keine pauschale Beurteilung von Menschen

 

Ein differenzierter Blick sei ebenso beim Thema „IMs in der Kirche“ nötig. Denn Inoffizieller Mitarbeiter stehe für ganz unterschiedliche Menschen: überzeugte und ebenso zum Spitzeldienst erpresste. Sehr persönlich erzählte Meckel von seinem Vater, der ebenfalls Pastor war und stets in „totaler Distanz“ zur DDR stand. Doch dann habe er sich angesichts einer homosexuellen Neigung Anfang der 1970er-Jahre erpressbar gemacht und wusste keinen anderen Weg als zu kooperieren. Denn sich zu outen war unter dem damaligen gesellschaftlichen und kirchlichen Kontext kaum möglich gewesen. Sein Vater habe nichts verraten, nur belanglos und oberflächlich berichtet. Dennoch: „Die Schuld bleibt und ich empfinde große Trauer und will zugleich meinen Vater nicht allein auf seine IM-Tätigkeit reduzieren“, so der Sohn, der dafür plädiert das Leben von Menschen nicht pauschal zu beurteilen, sondern auch Verdienste wahrzunehmen.

 

Vergebung setzt Schuld-Bekenntnis voraus

 

Zugleich erinnerte Markus Meckel an die verletzten Seelen, die Heilung bedürfen. Denn es gäbe nicht nur Opfer der Stasi, sondern ebenso Opfer von Stasi und Kirche sowie nur von der Kirche. Ein Beispiel seien die Theologen, die nach der Ausreise aus der DDR ihre Ordination verloren und im Westen zunächst nicht als Pastorin oder Pastor arbeiten konnten. Alle Grautöne wie die gesamte Kirchengeschichte der DDR muss auch die EKD, müssen alle Landeskirchen in die Betrachtung ihrer Gesamtgeschichte einbeziehen. Die Nordkirche stehe hierbei in besonderer Verantwortung, forderte Markus Meckel vor den rund 50 Gästen – darunter Bischof Tilman Jeremias. Konkret verwies er auf das Bußwort und die Aufarbeitung in der Mitteldeutschen Kirche: „Versöhnung braucht Wahrheit. Alles muss auf den Tisch. Wer sich bekannt hat, dem kann ich vergeben.“

 

In drei Erzählgruppen kam dann so manches auf den Tisch. Beispielsweise das Schicksal von Eckart Hübener. Der Pastor war seit 1982 in Rambow tätig. Doch der Stasi waren seine Aktivitäten im Friedenskreis ein Dorn im Auge. Entsprechend der Stasi-Richtlinie 1/76 wurden verdeckte, verleumdende und andere Zersetzungsmaßnahmen gegen ihn in Gang gesetzt. Dabei spielte auch IM „Herbert Puchalla“ eine Rolle, der immer wieder versuchte einen Keil zwischen Pastor Hübener und seinem LSI Timm zu treiben.

 

Drangsalierung in sozialistischer Schule noch lebendig

 

Bis heute wirken bei vielen Christen die Erfahrungen in der sozialistischen Schule nach. So mussten in den 1950er-Jahren Tausende Mitglieder der Jungen Gemeinden die Erweiterten Oberschulen (EOS) verlassen. Auch später war der Zugang für Kinder aus christlichen Elternhäusern zum Abitur oft verwehrt, so Anne Drescher, Landesbeauftragte für die Aufarbeitung der SED-Diktatur. Die Unterdrückung des Christentums zeige sich plastisch an den Mitgliederzahlen: „Waren 1945 noch 90 Prozent der Bevölkerung auf dem Gebiet der späteren DDR religiös gebunden, waren es 1989 nur noch 25 Prozent“, so Anne Drescher. In einer Erzählgruppe berichtete ein Mann von seinem „angepassten Doppelleben“ mit FDJ-Mitgliedschaft und Wehrdienst und seinem Christsein mit Konfirmation etc. Anders eine Frau, die das ablehnte, und so nicht zum Abitur und zum Studium zugelassen wurde.  Kirchlichen Mitarbeitenden, wie Ulrike Rinsma-Doll (damals Teterow), half bei allen Schwierigkeiten in der Gemeindearbeit mit den staatlichen Organen, dass der damalige Landesbischof Heinrich Rathke „immer ansprechbar war und hinter uns stand“.

 

Aktive Auseinandersetzung, Opferperspektive und Gesten

 

Für Propst Dirk Sauermann wurde in Salem der notwendige Schritt vom „passiven Erinnern zur aktiven Auseinandersetzung“ gegangen. „Wir wollten Gesprächsraume eröffnen und Geschichte(n) erzählen, bevor die Kenntnisse schwinden oder Erfahrungen von damals unbesprochen in das Reich der Vergangenheit verbannt werden“, so der leitende Theologe. Denn es sei wichtig, dass „erzählte Geschichte in der Gegenwart betrachtet, in diese übersetzt und heute zugänglich gemacht“ werde. So können gemeinsame Erfahrungen und Trennendes ausgemacht werden, um eine gute Zukunft in Kirche und Gesellschaft zu gestalten.

 

Curt Stauss, der als Seelsorger für politisch Verfolgte tätig ist, mahnte bei der Aufarbeitung noch mehr die Perspektive der Opfer einzunehmen. Stauss: „Versöhnung braucht neben rechtsstaatlichen Verfahren, dem Hör- und Erlebbar machen von schmerzhaften Erinnerungen und der Unterscheidung zwischen Person und Tat als theologische Dimension auch Gesten.“

Quelle: ELKM (cme)