Nach Amtshilfeersuchen aus Schleswig-Holstein Polizei bricht Kirchenasyl in Schwerin

20.12.2023 · Schwerin. Das Amtshilfeersuchen kam aus Schleswig-Holstein: Die Polizei in Schwerin wollte am Mittwochvormittag zwei afghanische Männer (18 und 22 Jahre alt) abschieben und hat dabei wegen einer Gefährdungslage das Kirchenasyl in der evangelischen Petrusgemeinde gebrochen. Scharfe Kritik kommt vom Flüchtlingsrat MV und der Kirche.

Der Flüchtlingsrat Mecklenburg-Vorpommern kritisierte das Vorgehen der Polizei scharf. „Das allererste Mal wurde in Mecklenburg-Vorpommern die rote Linie überschritten und durch Polizei ein Kirchenasyl gebrochen“, teilte er mit. Die Flüchtlingsbeauftragte der Nordkirche, Dietlind Jochims, kritisierte die versuchte Abschiebung aus Kirchenasyl als „beschämend und mit Grundsätzen der Menschenrechte unvereinbar“.

 

Im vorliegenden Fall sollten laut Flüchtlingsrat zwei erwachsene Söhne einer sechsköpfigen afghanischen Familie von der Familie getrennt nach Spanien abgeschoben werden. Vor Ort sei die Situation eskaliert. Eine Polizeisprecherin sagte, aus der Wohnung sei ein Klirren zu hören gewesen, daraufhin seien Beamte in die Räume in der Ziolkowskistraße eingedrungen.

 

Laut Polizei befanden sich die 47-jährige Mutter, der 49-jährige Vater, zwei erwachsene Söhne im Alter von 22 und 18 Jahren sowie ein 10-jähriger Sohn und eine 13-jährige Tochter in der Wohnung. Alle sechs Personen hätten die afghanische Staatsangehörigkeit.

 

Der Flüchtlingsrat sprach von einem „erschreckenden Signal an Geflüchtete, die in Deutschland Schutz suchen“. Nicht einmal zu Weihnachten dürften sie sich sicher fühlen. Laut Ulrike Seemann-Katz vom Flüchtlingsrat hat es in MV um die Weihnachtsfeiertage herum noch nie Abschiebungen gegeben. Im Hinblick auf das gebrochene Kirchenasyl sagte sie: „Ich kann mir vorstellen, dass das auch Kirchengemeinden verunsichert.“

 

Bischöfin Nora Steen appellierte an alle zuständigen Behörden, „den Schutzraum Kirchenasyl zu achten“. Solch eine bedrohliche und eskalierende Situation habe diese Familie „massiv retraumatisiert“ und sei „unzumutbar“, sagte Steen.

 

Nach Information von Polizei und Flüchtlingsrat wurde die Abschiebung im Zuge des Polizeieinsatzes zunächst ausgesetzt. Die Polizei bestätigte mittlerweile, dass die beiden Männer zunächst nicht abgeschoben worden seien. Über das weitere Vorgehen müsse die Ausländerbehörde in Kiel entscheiden, teilte sie mit.

 

Der 22-jährige Sohn, der sich nach bisherigen Erkenntnissen in der Wohnung vor dem Zugriff der Polizei selbst verletzt hat, befindet sich laut Polizei aktuell ebenso in medizinischer Behandlung wie die Mutter. Die 47-Jährige habe durch Androhung von Gewalt gegen sich und ihre Kinder versucht, die Maßnahmen zu vereiteln.

 

Die angeforderten Spezialeinheiten der Landespolizei hätten deeskalierend auf die Frau einwirken können, hieß es. Bei der Durchsuchung der Familie seien bei der Mutter, dem 22-jährigen Sohn und der Tochter Messer versteckt am Körper gefunden worden. Gegen die Mutter seien Strafverfahren wegen Bedrohung und Nötigung eingeleitet worden. Weitere Personen oder Einsatzkräfte seien nicht verletzt worden.

 

„Hier wurde der Schutzraum einer schwer traumatisierten Familie, die in ihrer Heimat mit dem Tod bedroht wurde, verletzt“, sagte Jochims, Flüchtlingsbeauftragte der Nordkirche. Das Kirchenasyl sei seit vergangenem Freitag gewährt worden. Wie es gängige Praxis sei, seien alle zuständigen Behörden darüber informiert worden.

 

Nach Informationen der Flüchtlingsbeauftragten sei die Mutter eine bekannte Frauenrechtlerin und Journalistin, die in ihrer Heimat massiv bedroht worden sei. Über das Aufnahmeprogramm für Afghanistan des Bundesinnenministeriums und des Auswärtigen Amtes sei der Familie eine Aufnahme in Deutschland zugesichert worden, hieß es.

 

Bei dem Versuch, die beiden volljährigen Kinder von der Familie zu trennen und abzuschieben, sei gegen Zusicherungen der Behörden und die Prinzipien der Menschenrechte verstoßen worden: „Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat selber festgehalten, dass eine Familientrennung hier vermieden werden soll. Außerdem ist das Kirchenasyl gebrochen worden, was dem bekundeten Respekt für diesen Schutzraum widerspricht“, sagte Jochims.

 

Der Staat toleriert das Kirchenasyl, bei dem Kirchengemeinden Geflüchteten Wohnraum bieten und sie versorgen, obwohl er grundsätzlich von seinem Zugriffsrecht Gebrauch machen und abschieben kann. Um gemeinsam zu guten humanitären Lösungen kommen zu können, wurde 2015 eine Verfahrensabsprache zwischen dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und den Kirchen getroffen.

Quelle: epd