Sprengelkonvent: Frank Zelinsky im Gespräch "Wir brauchen Spielräume, damit sich der Heilige Geist bemerkbar machen kann“
Gespräch: Annette Klinkhardt
Fotos: A.Klinkhardt
28.09.2023 · Greifswald. Am Mittwoch kamen rund 130 Pastorinnen und Pastoren aus den beiden Kirchenkreisen Mecklenburg und Pommern zum Sprengelkonvent nach Greifswald. Frank Zelinsky hielt einen Vortrag auf dem Konvent, der unter dem Motto "Luft unter den Flügeln - was uns aufleben lässt" stand. Zelinsky ist seit 2016 Rektor des Pastoralkollegs in Neuendettelsau. Er sei „verliebt in Mecklenburg“, bekannte er. Begann er sein Berufsleben doch als Gemeindepastor in Mecklenburg, bevor er sieben Jahre lang das Theologisch-Pädagogische Institut der früheren Mecklenburgischen Landeskirche leitete. Danach war er acht Jahre lang Gemeinde- und Dekanatsjugendpfarrer in Augsburg. Der 61-Jährige ist uner anderem Geistlicher Begleiter.
In welchen Momenten haben Sie als Pastor Freiheit erlebt?
Meine schönste Erfahrung in meiner ersten Pfarrstelle in Mecklenburg: Ich kam dahin und dachte, wir müssen was machen mit den Kindern, also bieten wir Familiengottesdienste an. Und dann kamen zwar viele Kinder, aber kein Vater und keine Mutter. Da habe ich verstanden, dass der Kirchenbesuch für die Eltern ein Tabu ist. So würde es nicht funktionieren. Und dann hatten wir die Idee, Zirkus zu machen. Das war etwas, was uns Spaß gemacht hat, was die Kinder wahnsinnig gerne gemacht haben, und worüber wir Kontakt zu den Eltern bekamen. Daraus ist ein Wanderzirkus geworden, den es heute noch gibt. Im Nachhinein erst habe ich erfahren, wie viel das mit Kirche und Verkündigung zu tun hat: Die Kinder haben erlebt, dazu zu gehören, etwas zu können, beklatscht zu werden. Diese Erfahrung hat ihnen erst ermöglicht, unsere christlichen Worte dafür zu hören.
Wie kann ich mehr Freiheit in den Alltag als Pastorin oder Pastor bringen?
Ganz konkret: In der Planung einer Woche zum Beispiel. Wenn meine Woche durch einen Stundenplan eng getaktet vorgegeben ist, so dass keine Bewegungsspielräume gegeben sind, um nachzudenken, um zu erforschen, dann kann einem das die Luft abschnüren. Das wäre für mich eine Einengung von Freiheit, die wir uns eigentlich nicht mehr leisten können. Es gilt, das Verhältnis von Institution und Charisma auszubalancieren. Wenn die Institution alles vorgibt an Arbeitspensum, das ich abzuarbeiten habe, dann ist das der Tod von Geist und Kreativität und Mitarbeiter sind frustriert. Deshalb dürfen wir in den zeitlichen Kontingenten nicht bis zum Anschlag verplant sein, sondern es braucht Spielräume, in denen Mitarbeitende ihr Ding machen, das, was ihre Gabe ist.
Brauchen wir als Menschen, die sich für die Kirche engagieren, mehr Freiheit, das zu tun, was Spaß macht? Und hat das etwas mit dem Heiligen Geist zu tun?
Freude und Energie haben sehr viel mit dem Heiligen Geist zu tun. Dort, wo bei mir Energie geweckt wird, entsteht auch bei anderen Energie. Energie, Bewegung, Luft, Atmen, Lebendigkeit: Dafür müssen wir offen werden und dann dürfen wir darauf vertrauen, dass sich da der Heilige Geist bemerkbar macht.
Können Pastorinnen und Pastoren diese Freiheit auch den Ehrenamtlichen oder den Jugendlichen zugestehen?
In dem Augenblick, wo klar ist, dass diese Freude Lebendigkeit bedeutet, kann sie sich bei Jugendlichen in anderen Formen und an anderen Stellen ausdrücken als bei mir. Es geht ja nicht darum, mein Ding durchzudrücken, sondern die Aufmerksamkeit für die Lebendigkeit zu bewahren. Wir wollen Menschen dazu anzustiften, herauszufinden, wofür ihr Herz schlägt, wo ihre Gabe liegt und ihnen zutrauen, diese zu entfalten. Es gibt ein wunderbares Lied von Gerhard Schöne mit dem Refrain „Du hast es nur noch nicht probiert und darum glaubst du’s nicht!“. Das ist die Haltung, die wir üben müssen, das Menschen zuzusprechen, ein Wagnis einzugehen, etwas zu tun, was als Impuls oder Intuition in ihnen da ist.
Davon erzählt die Bibel...
Die große Befreiungsgeschichte am Anfang ist die Urgeschichte in der Bibel, die sich durchzieht. In dieser Erzählung vom Auszug aus Ägypten erfahren wir schon, dass Freiheit nicht nur Spaß ist, sondern auch möglicherweise eine Überforderung sein kann. Alte, beengte Verhältnisse haben eben auch Sicherheit und Verlässlichkeit geboten. Aber trotzdem mutet Gott es seinem Volk zu. Er sagt eben nicht, ok, ich schone Euch, sondern er mutet es ihnen zu. Die Freiheit ist auch eine Zumutung, aber es ist die Zumutung des Evangeliums.
Das Vertraute, die Tradition kann auch etwas Tröstliches haben. Wo brauchen wir mehr Spielräume und wo schätzen Sie auch die kirchliche Tradition?
Kirchliche Tradition wird meiner Meinung nach keine einheitliche Form mehr vorgeben können. Das wird nicht mehr funktionieren, dazu sind Menschen heute zu individualistisch. Zumindest in Deutschland machen sie da offensichtlich nicht mehr mit, weder bei den Katholiken, noch bei uns. Was Menschen Halt und Sicherheit gibt, müssen wir neu aushandeln. Das betrifft auch die Rolle von Pastorinnen und Pastoren. Deren Amt wird in Zukunft sicher viel mehr durch deren Charismen bestimmt sein.
Ich glaube, dass wir mit einem Erproben jetzt erst entdecken werden, dass auch andere Menschen außer unseren gewohnten Gottesdienstbesuchern die Chance bekommen müssen, dazu zu kommen. Beispielweise mit Sommergottesdiensten in Gärten, wie es junge Pastorinnen und Pastoren ausprobieren. Wir können nicht mehr für zehn Leute den agendarischen Sonntagsgottesdienst museal erhalten.
Die jungen Leute, die ich im Pastoralkolleg begleite, sind hochmotiviert und hoch engagiert. Ich wünsche ihnen sehr, dass man ihnen zutraut, Neues auszuprobieren und eigene Erfahrungen zu machen und nicht nur fortzuführen, was eine kleine Gruppe unbedingt erhalten will. Diese Generation Pastorinnen und Pastoren hätte gerne eine Kirchenleitung, die ihnen dafür Zeit und Mittel gibt, anstatt sie mit noch mehr Vertretungsdiensten und noch größeren Regionen zu belasten. Eine „Grundversorgung“, also den Betrieb am Laufen zu halten, das wird überall frustrierend und überfordernd sein. Ich glaube nicht, dass so etwas eine Zukunftsperspektive hat.
Wie können wir dafür sorgen, dass diese Freiheit zum Guten dient?
Da gehört eine Aufmerksamkeit füreinander und eine Verantwortung untereinander dazu. Wir können das nicht durch Einzelkämpfer lösen. Wir müssen schauen, wo die Freiheit dem Leben dient und wo lediglich der Selbstverwirklichung. Wir müssen uns fragen: Wo dient die Freiheit dem Leben? Alle Freiheit, die ich nur nutze, um meine eigenen Bedürfnisse zu befriedigen oder mich auf die Bühne zu stellen, hat nichts mehr mit dem Heiligen Geist zu tun.
Quelle: kirche-mv.de (ak)