Bischof Jeremias bei Vortragsreihe "GeistReich": "Kirche muss in politischen und gesellschaftlichen Fragen Akzente setzen"

Bischof Tilman Jeremias

Foto: kirche-mv.de/D. Vogel

11.12.2024 · Rostock. Soll Kirche in Gesellschaft und Politik mitmischen? Darum ging es in der Vortragsreihe „GeistReich“ der Rostocker Kirchengemeinde St. Johannis. Bischof Tilman Jeremias sagte: "Als Christ kann ich meinen Glauben nicht leben, ohne dass dies einen öffentlichen Aspekt hat: Ich setze mich für die Menschenwürde aller ein und habe dabei gerade das Wohl der Schwächsten im Auge.“

Kirche kann von ihrem Selbstverständnis her gar nicht anders, als gesellschaftlich und politisch mitzumischen. Dies sagte Bischof Tilman Jeremias am Dienstagabend (10. Dezember) im GemeindeChorHaus der Rostocker St. Johannis Kirchengemeinde. Der Bischof im Sprengel Mecklenburg und Pommern hielt einen Vortrag zum Thema „Kirche und Staat – raushalten oder mitmischen?“.

 

Pastor Kiefer: Unversöhnliche Meinungen spalten Gesellschaft und Kirchengemeinden

 

Initiiert hat die Vortragsreihe Pastor Jörn Kiefer. Er sagt: „Wir nehmen kontroverse Themen aus Kirche und Gesellschaft in den Blick, um damit einen Gesprächsraum zu eröffnen, der die eigene Meinungsbildung unterstützt. Die Idee ist letztes Jahr gewachsen und hat auch mit der gesellschaftlichen Stimmung zu tun. Die auseinandergehenden und oft unversöhnlichen Meinungen spalten nicht nur die Gesellschaft, sondern auch Kirchengemeinden.“

 

Bischof Tilman Jeremias begrüßte das Engagement der Kirchengemeinde: „Eine wichtige Aufgabe von Kirche ist es, Menschen mit unterschiedlichen politischen Überzeugungen und Meinungen ins Gespräch zu bringen und dafür unsere Räume zu öffnen. Furchtlos, aber ohne Aggressionen oder Ressentiments seine Meinung zu sagen, will auch geübt sein. Deshalb bin ich sehr dankbar für diese Reihe.“

 

Kirche bringt Menschen mit unterschiedlichen Überzeugungen ins Gespräch

 

Zwei Bibelstellen seien für ihn entscheidend in der Frage, ob Kirche mitmischen oder sich lieber raushalten solle: „Jedermann ordne sich den staatlichen Behörden unter, die Macht über ihn haben. Denn es gibt keine staatliche Behörde, die nicht von Gott gegeben wäre“ heißt es im 13. Kapitel des Römerbriefs. In der Apostelgeschichte steht der Vers „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen“. Bischof Jeremias: „Für uns als Kirche gilt es, zwischen diesen beiden Polen eine gute Mitte zu finden: Dass die Obrigkeit von Gott gegeben ist, bedeutet für mich, unsere Regierung anzuerkennen und für die Menschen zu beten, die Verantwortung für unser Land tragen.“ Allerdings habe dieser Bibelvers über Martin Luther eine fatale Wirkung entfaltet: „Während des Nationalsozialismus haben sogenannte Deutsche Christen Adolf Hitler nahezu als einen Messias verehrt.“

 

Blinder Gehorsam ist fatal

 

Dagegen eröffne die biblische Aufforderung, Gott mehr zu gehorchen als den Menschen, eine Möglichkeit des Widerstands für Christinnen und Christen, so der Theologe. Er gab aber zu bedenken: „Auf der anderen Seite sehen wir, wie fundamentalistische Christen immer wieder versuchen, sich über staatliche Strukturen komplett hinwegzusetzen." Als Beispiel nannte er die sogenannten Täufer, die während der Reformationszeit einen Gottesstaat errichten wollten.

 

Bibel keine unmittelbare Gebrauchsanweisung 

 

Sein Fazit: „Blinder Gehorsam ist genauso fatal, wie die Bibel als eine Art unmittelbare Gebrauchsanweisung für das rechte Leben zu lesen. Es ist wichtig für uns als Kirche, mit Vernunft und Augenmaß die Balance zwischen beidem zu finden: Wir müssen nicht zu jedem parteipolitischen Thema ein Statement herausgeben. Als Christ kann ich aber meinen Glauben nicht leben, ohne dass dies einen öffentlichen Aspekt hat: Ich setze mich für die Menschenwürde aller ein und habe dabei gerade das Wohl der Schwächsten im Auge.“

 

Kirche zu DDR-Zeiten lebte demokratische Strukturen vor

 

Ein gutes Beispiel für solch ein Austarieren beider Pole seien für ihn die Christinnen und Christen in der DDR: „Die Kirche hatte nicht die Möglichkeit, politisch aktiv zu werden. Aber sie war selbst mit ihren Synoden demokratisch aufgebaut und sie hat ganz unterschiedlichen Gruppen die Türen geöffnet wie der Jugend, Studentinnen und Studenten, Umwelt- und Friedensgruppen. Dadurch war die Kirche zu DDR-Zeiten ein Vorreiter für eine lebendige Demokratie und wurde damit relevant für die friedliche Revolution.“

 

Ausblick

 

In der Reihe „GeistReich“ folgt im Februar ein Abend zum Thema "Gibt es einen gerechten Krieg?" und im April wird es um das Thema Kirchenasyl gehen.

Quelle: Bischofskanzlei Greifswald (ak)