Erfahrungsaustausch Fazit von Bischof Tilman Jeremias zur Veranstaltung "Kirche und Corona – was bleibt"

Von Bischof Tilman Jeremias

29.01.2024 · Salem. Rund 100 Menschen aus evangelischen Gemeinden in MV folgten am Sonnabend (27. Januar) der Einladung von Bischof Tilman Jeremias nach Salem. Unter dem Motto „Kirche und Corona – was bleibt?“ kamen sie ins Gespräch und berichteten von ihren Erfahrungen aus der Corona-Zeit. Am Ende des dreistündigen Austauschs zog Bischof Tilman Jeremias ein Fazit. Das frei gesprochene Fazit im Wortlaut:

Ich muss gestehen, ich bin mit etwas weichen Knien hierhergekommen und bin am Ende des Tages jeder und jedem von Ihnen tief dankbar, dass Sie gekommen sind. Ich danke Euch auf dem Podium, dass ihr euch diesem Setting gestellt habt. Nach diesem Vormittag bin ich mir sicher, dass das Thema Corona nicht etwa durch ist oder fertig aufgearbeitet, sondern es ist und bleibt ein Thema unter uns. Ich habe heute sehr viele nachdenkliche Stimmen gehört und nicht wenige Menschen, die tief verwundet aus dieser Zeit kommen. Das kann uns als Kirche und mir als Bischof nicht egal sein.

 

Zur gesamten Diskussionslage in unserer Nordkirche möchte ich sagen, dass es während der Coronazeit durchaus auch Differenzen zwischen West und Ost gab. Wir hatten einen Krisenstab der Nordkirche, der hat am Anfang mehrmals täglich getagt. Sebastian Kühl (Pressesprecher des Pommerschen Evangelischen Kirchenkreises, saß mit auf dem Podium) hat erzählt, was diese Zeit auch kommunikativ für eine riesige Herausforderung war.

 

In aller Vorsicht möchte ich sagen, dass es Punkte gibt, die heute auch vorgekommen sind, wo wir als Kirche nicht nahe genug bei den Menschen waren, wo wir als Kirche in der Coronazeit versagt haben. Das haben wir gehört aus verschiedenen Ecken, von der Suppenküche, von der Krankenhausseelsorge. Aber auch hier haben wir heute gehört: So pauschal kann man das nicht sagen, denn wer ist das denn überhaupt, die Kirche? Klar ist: Wir hätten mit größerem Nachdruck darum kämpfen müssen, dass Menschen nicht alleine sterben und in Pflegeheimen, Krankenhäusern ohne Begleitung sind. Da haben wir uns nicht ausreichend gewehrt. Allerdings geschieht das auch eher im Hintergrund. Markus Wiechert, unser landeskirchlicher Beauftragter, hat da hervorragende Arbeit geleistet und immer wieder beim Land versucht, um Verständnis zu werben und auf Änderung zu drängen. Da hat es auch Öffnungen gegeben. Aber in der ersten Zeit war das eine Fehlstelle.

 

Wo wir als Kirche Menschen ausgegrenzt haben und in einer Weise mit ihnen umgegangen sind, wie wir es heute gehört haben auf abfällige oder ausgrenzende Weise, da sind wir als Kirche schuldig geworden. Davon bin ich überzeugt. So können wir auch innerhalb unserer Kirche nicht miteinander umgehen. Das, was heute geschehen ist, war etwas, was uns mit unseren begrenzten Kräften in dieser Zeit nicht gelungen ist, nämlich viel mehr noch miteinander zu reden.

 

Auch das haben viele gesagt heute: Warum haben wir eigentlich nicht miteinander kommuniziert? Wir haben auch bei einzelnen Statements heute gemerkt: Es ist manchmal gar nicht so leicht zuzuhören, weil ich so anders gestrickt bin. Ich sehe das so anders, ich kann das fast nicht aushalten, was du gerade sagst. Aber genau das muss geschehen: Wir müssen zusammenbleiben und uns diese Dinge gegenseitig sagen, auch wenn der/die andere sie fast nicht aushalten kann.

 

Die Alternative ist, dass wir entweder ganz in die innere Emigration gehen. Oder, dass wir uns gegenseitig bekämpfen, und beide Wege sind für uns als Kirche nicht gangbar. Wir sind eine Gemeinschaft von Menschen, die sehr verschieden sind, übrigens von Anfang an, wenn man das Neue Testament liest. Die ersten Christen haben damals nicht weniger diskutiert als wir heute. Aber sie haben zusammen gebetet und das Mahl gefeiert und sich dann überlegt, wie können wir beieinander bleiben, wie können wir irgendwie unsere Streitpunkte lösen. Und dann sind sie auf Konzile oder Synoden gekommen und haben sich immer noch gestritten, und das geht bis heute.

 

Deswegen finde ich es gut, wenn das kein Schlusspunkt hier ist, sondern wir andere Formate finden. Das betrifft nicht nur mich als Bischof, sondern wir alle haben Verantwortung dafür, dass wir auf Gemeindeebene, auf Kirchenkreisebene, auf landeskirchlicher Ebene weiter miteinander im Gespräch sind.

 

Die Voraussetzung, damit das funktioniert, ist die Losung des heutigen Tages, das ‚hörende Herz‘ (Tageslosung vom 27. Januar: Gott sprach zu Salomo: Weil du weder um langes Leben bittest noch um Reichtum noch um deiner Feinde Tod, sondern um Verstand, auf das Recht zu hören, siehe, so tue ich nach deinen Worten), also: Ich stehe dir gegenüber und gestehe dir erst einmal zu, dass das, was du sagt, aus deinem Glauben, aus deiner Überzeugung herauskommt. Es kann sein, dass ich vielleicht etwas sage, was dir nicht gefällt und wo ich versuche, meinen Glauben zu leben. Und an der Stelle sind in der Coronazeit innerkirchlich Dinge passiert, es gab stellenweise einen Umgang miteinander, der destruktiv war und Menschen tief verletzt hat.

 

Wenn wir etwas lernen, muss es auch an dieser Stelle sein. Das eine sind die Strukturen, das andere, wie wir miteinander umgehen. Deshalb bin ich einfach tief dankbar dafür, dass wir heute miteinander waren, dass ganz viele von Ihnen ans Mikro getreten sind und das Ihre sagen konnten. Und wir haben allen zugehört. Anders können wir Kirche nicht bauen.

 

Ich glaube sogar, dass wir an dieser Stelle eine eminente Aufgabe haben als Kirche. Dass wir in unseren Gemeinden eine Spannbreite von links bis rechts haben und pro und contra Coronamaßnahmen, das gibt es nicht oft. Viele gesellschaftliche Gruppen funktionieren in ihrer Bubble, wo sie mit gleicher Meinung unterwegs sind. Wir haben diese Möglichkeit und damit auch die Aufgabe, als Kirche für die gesamte Gesellschaft diese Räume zu eröffnen. Komm und rede! So sollten wir weiter unterwegs sein.

 

Wir haben heute nicht die einzelnen Fragen geklärt und wir werden auch nicht alle diesen Raum verlassen und einer Meinung sein, das ist aber auch nicht mein Anspruch. Das wäre schlimm, wenn wir plötzlich so ein Gesinnungsverein wären. Nein, wir sind ganz verschieden, so wie Gott uns geschaffen hat. Wir sind seine geliebten Geschöpfe und sollen in seiner Liebe unterwegs sein und uns den aktuellen Problemen stellen. Ich danke Ihnen allen herzlich für diesen Vormittag!

Quelle: Bischofskanzlei Greifswald