Sensationsfund stammt aus dem Jahr 1247 Deutschlandweit ältestes Chorgestühl im mecklenburgischen Gägelow bei Sternberg entdeckt
20.03.2024 · Sternberg/Dabel. Eine wissenschaftliche Untersuchung des Holzes hat es zu Tage gefördert: In der Dorfkirche im mecklenburgischen Gägelow steht ein Kunstwerk, dessen Bedeutung bisher nicht bekannt war, aber weit über die Grenzen des Bundeslandes hinaus reicht.
„Kunsthistorisch ist das Chorgestühl in der Kirche Gägelow bei Sternberg das zurzeit älteste bekannte, vollständige Kunstwerk dieser Art in Deutschland.“ Diese überraschende Neuigkeit hatte Dr. Tilo Schöfbeck im Gepäck beim Pressegespräch des Fördervereins für den Erhalt der Kirche zu Gägelow e.V. Der Schweriner Dendrologe formuliert auf Nachfrage es dann noch zugespitzter: „Ja, das ist ein echter Überraschungsfund, der zugleich viele Fragen aufwirft.“
Das Chorgestühl von Gägelow fiel schon früher auf – „wegen seiner Größe und seinem Standort in einer abgelegenen Landpfarre“, ergänzt Dendrologe Schöfbeck, der das Alter von Holz mit Hilfe der Jahrringmuster bestimmt. Schon der Altmeister der mecklenburgischen Altertumsforschung, Georg Christian Friedrich (G. C. F.) Lisch, hatte Indizien dafür, das Gestühl in das frühe 14. Jahrhundert einzuordnen. Formal gab es Zweifel daran. Denn die Gestaltung des Baldachins gab zuletzt Anlass, seinen Ursprung erst im frühen 16. Jahrhundert zu suchen.
Eichenbaum stammt aus dem mecklenburgischen Urwald
„Als das Gestühl im Dezember 2023 dendrochronologisch untersucht wurde, war die Überraschung groß: Das einheimische Eichenholz wurde im Winter 1247 gefällt. Da Holz damals frisch bearbeitet wurde, können wir also davon ausgehen, dass das Gestühl auch im Jahr 1247 hergestellt wurde“, so Tilo Schöfbeck, der mit seinem Akkubohrer insgesamt vier Proben aus verschiedenen Teilen des Gestühls genommen hatte - beispielsweise an der Bodenschwelle des Gestühls. Dort befindet sich noch eine so genannte Waldkante an der Bohle. "Das ist die Oberfläche des Baumes, an dem die Rinde dran ist", erläutert der Dendrologe. „Uns interessiert der letzte gewachsene Jahrring. Wir wollen ja das Todesjahr des Baumes wissen, also wann er gefällt wurde." Alle vier Proben brachten im Labor das gleiche Ergebnis: das Jahr 1247. Der Eichenbaum, aus dem das Chorgestühl gemacht wurde, sei vermutlich 300 Jahre älter gewesen und stammt aus dem mecklenburgischen Urwald.
Warum ist das alles so überraschend? Um 1250 ist der landschaftliche Umbau Mittelmecklenburgs in vollem Gange. Neue Dörfer wie Gägelow werden gezielt dort gegründet, wo bis dahin Wald auf schweren, fruchtbaren Böden stand. Die slawischen Siedlungen konzentrierten sich auf die Umgebung von Gewässern, gemeinsam mit neuen Siedlern aus Nordwesteuropa, vor allem aus Westfalen und (Nieder)sachsen, wird das Land vermessen, alte Orte umgebaut, neue angelegt.
Wo stand das Gestühl vorher?
Gägelow wird vermutlich nach Feuchtgebiet in seiner Nachbarschaft benannt: „Entenort“. Gleichzeitig entstehen überall ab den 1220er-Jahren christliche Kirchgemeinden. Die ersten Bauten - außerhalb von Herrschaftszentren und Klöstern - sind aus Holz. Auf dem Lande beginnt die zweite Siedlergeneration, steinerne Kirchen zu bauen - aber nur dort, wo sowohl Material als auch genügend Wirtschaftskraft vorhanden sind. Gägelow gehört zu dieser zweiten Generation, Chor und Kirchenschiff sind in den 1260er-Jahren entstanden.
Wo aber stand dann vorher das große Gestühl? Tatsächlich in einem hölzernen Vorgängerbau? Nachweise für solche gibt es in Laase, Bernitt oder Lichtenhagen. Oder ist es in den Wirren der Reformationszeit aus einem Kloster wie Dobbertin nach Gägelow gekommen? Welche Rolle spielt das nahegelegene Sternberg? Daraus folgt natürlich die Frage: Wer hat dann darauf gesessen?
Restaurierung beginnt im Juni
Diesen Fragen spürt Lea Morath in ihrer Masterarbeit nach, wie sie beim Pressegespräch erzählte: Neben spätromanischen Resten im Ratzeburger Dom würden die Gestühle von Havelberg, Einbeck und Doberan aus den 1280/90er Jahren als seine ältesten Vertreter gelten. Das Gägelower Chorgestühl sei handwerklich hervorragend hergestellt worden. „Die Handwerker zeigen sich in den konstruktiven Details als erfahrene Könner ihres Metiers und dürften vorher in anderen Landschaften gearbeitet haben. Das Formengut ist für die Zeit hochmodern, so beispielsweise die erst jetzt nachgewiesene, ursprünglich plastische Dreipaßgestaltung an der Rückwand, wie sie sich z.B. auch am Limburger Dom finden“, so die Wissenschaftlerin. Ab Juni wird die Restauratorin aus Potsdam mit anderen Hand an das Gestühl anlegen, um es weitere Jahrhunderte für die Nachwelt zu erhalten.
Christian Lehsten vom Förderverein zur Erthaltung der Kirche Gägelow berichtete, dass der Sakralbau seit 2017 restauriert werde. "Der Sensationsfund hat uns schon überwältigt, da ist der Mund offen stehen geblieben." Nun hoffe der Verein, dass auch das Mauerwerk der Kirche trocken gelegt werde, um weitere Schäden zu vermeiden und das sehr feuchte Raumklima nachhaltig zu verbessern. Spender und Mäzene seien willkommen.
Quelle: ELKM (cme)