Rückblick auf den VIII. Studientag am 24.7.2021 "Frauen in der jüngeren pommerschen Kirchengeschichte"

von  Dr. Eckhard Oberdörfer

Die Arbeitsgemeinschaft für pommersche Kirchengeschichte wandte sich erstmals in aller Ausführlichkeit der weiblichen Seite der Historie zu. Am 24. Juli 2021 wurde der achte Studientag im Greifswalder Dom zu Frauen in der jüngeren pommerschen Kirchengeschichte durchgeführt. Die Beteiligung war sehr gut, ebenso wie die Organisation durch Mathias Bartels und sein Team, der auch die Bewirtung exzellent organisiert hatte. Laut Programm waren vier Vorträge vorgesehen. Allerdings konnte Ulrike Reinfeldt krankheitsbedingt nicht über ihre Forschungen zum Briefwechsel der Diakonisse Marie Möller mit Bischof Karl von Scheven 1948 bis 1950 sprechen.

 

Ingelore Ehricht, die erste Referentin, berichtete anschaulich über die Greifswalder Bürgermeistertochter Johanna Odebrecht (1794–1856), die in ihren Häusern in der Wollweberstraße 4/5 eine Freischule für arme Mädchen einrichtete. Finanzielle Grundlage ihres sozialen Engagements war das Erbe ihres Vaters. Johanna Odebrecht hatte persönlich ein hartes Schicksal, sie litt infolge eines Sturzes an einer Rückratverkrümmung und verlor bei einem Unfall ein Auge.  Mit ihrer Schule wollte sie Arbeitertöchter vor sittlicher Verwahrlosung schützen, sie zu guten Christen erziehen und ihre Ausbildung zu tüchtigen Dienstboten erreichen. Mit dem Grafen von der Recke, einem der Initiatoren der Inneren Mission, war sie in Düsselthal bei Düsseldorf in Berührung gekommen und verfolgte für Greifswald ihr Schulprojekt sozialer Fürsorge. Johanna Odebrecht sorgte dabei auch für Unterkunft und bezahlte den Lehrer. Ihre von ihrem Biografen kritisierte strenge Erziehungsmethode, die bis hin zur zeitweisen „Haft“ in dunklen Räumen reichte, ordnete die Referentin in ihre Zeit ein. Eine 1841 eingesetzte Kommission befand „die Schulzucht [in der Odebrechtschen Schule] sei etwas strenge“, aber ohne Züchtigung ginge es „besonders bei Schülern der niedrigsten Einwohnerklassen“ nicht.

 

Der Name Johanna Odebrecht ist heute in Greifswald und Vorpommern durch eine von ihr veranlasste und nach ihr benannte große Stiftung bekannt. Der Betrieb der Johanna-Odebrecht-Stiftung begann 1901/02 am Stadtrand von Greifswald anfangs als Ausbildungsanstalt "für gefallene Mädchen". Im Laufe der nächsten Jahrzehnte bis in die aktuelle Gegenwart entwickelte sich daraus ein breit aufgestelltes Gesundheitszentrum. Die Stiftung betreibt heute unter anderem das Evangelische Krankenhaus „Bethanien“, ein Schulzentrum und ein Altenhilfezentrum.

Dr. Hans-Jürgen Abromeit, Spezialist für das Wirken des 1945 von den Nazis ermordeten Widerstandskämpfers Dietrich Bonhoeffer (1906–1945), referierte über pommersche Frauen, die mit Bonhoeffer in Kontakt standen. Damit wurde eine wichtige Phase der Bonhoeffer-Biographie berührt: Etwa die Hälfte seiner nur 12-jährigen Wirkungszeit als Pfarrer verbrachte der 1931 in Berlin ordinierte Pastor in Pommern, nämlich in Zingst, Greifswald, Stettin-Finkenwalde, Köslin und Schlawe. Laut Abromeit kann Bonhoeffer als der international bedeutendste deutsche Theologe des 20. Jahrhunderts gelten. Der Referent ging auf fünf pommersche Frauen ein, die für ihn nachweislich wichtig waren: Ruth v. Kleist-Retzow, Ruth und Maria v. Wedemeyer, Mechthild v. Behr, Stephanie v. Mackensen-Astfeld. Dabei stellte der Referent heraus: Bonhoeffer vertrat ein konservatives Frauenbild und belegte das mit einem Zitat aus Bonhoeffers Traupredigt für Eberhard Bethke: Es sei die Ehre der Frau dem Mann zu dienen und die Ehre des Mannes, die Frau von Herzen zu lieben. Aber Bonhoeffer sei Frauen wie Ruth von Kleist-Retzow auf Augenhöhe begegnet. Er habe von den Gesprächen mit ihnen profitiert bis hin zu Formulierungsänderungen in seinen theologischen Abhandlungen. Bonhoeffer habe ausgesprochen starke Frauen als Gesprächspartnerinnen ausgewählt, resümierte Abromeit. Ausführlich ging er auf das Verhältnis zu der 1924 geborenen Maria von Wedemeyer ein, mit der sich kurz vor seiner Verhaftung 1943 gewissermaßen verlobte.

 

Antje Heinrich-Sellering und Dr. Ruth Bördlein trugen anschließend über „Margarethe Lachmund: Beziehungen pflegen, Not lindern, Erinnerung bewahren – Einblicke in aktuelle biographische Recherchen“ vor. Margarethe Lachmund (1896–1985) entstammt der Pfarrerfamilie Grobbecker und wuchs in Wanzka bei Neubrandenburg auf. Als junge Erwachsene ließ sie sich zur Lehrerin ausbilden. 1933 trat sie der Religiösen Gesellschaft der Freunde (Quäker) bei, die den Kriegsdienst ablehnte und ein humanistisches Menschenbild vertrat. Sie blieb aber Mitglied der Evangelischen Kirche. Schon 1921 hatte sie den liberaldemokratischen Juristen Hans Lachmund (1892–1972)geheiratet. Die Referentinnen schilderten das Engagement Lachmunds insbesondere für verfolgte nichtarische Christen und jüdische Deutsche. Beide Lachmunds gehörten zu den mutigen Menschen, die sich aktiv für die kampflose Übergabe Greifswalds am 30. April 1945 engagierten. Nach dem Zweiten Weltkrieg kümmerte sich Frau Lachmund mit großem Einsatz für den Wiederaufbau der städtischen Wohlfahrtspflege trotz und selbst nach der willkürlichen Verhaftung und späteren Verurteilung ihres Mannes (Juni 1945). So gelang es ihr 1946, für eine Großküche 50 Zentner Kartoffelflocken zu bekommen, die die Rote Armee beschlagnahmt hatte. Lachmund war eine Gründerin des Demokratischen Frauenbundes Deutschlands und in Greifswald dessen erste Vorsitzende. Ihr Handeln sei überaus reflektiert und durch ihre religiös-politischen Überzeugungen geprägt gewesen, schätzte Antje Heinrich-Sellering ein.

 

Mit dem Studientag verbunden war die Mitgliederversammlung der Arbeitsgemeinschaft. Der Vorsitzende Dr. Irmfried Garbe berichtete über vergangene und künftige Aktivitäten. Die Zahl der Mitglieder liege bei aktuell 142 und habe sich dank zehn neuer Mitstreiter seit 2019 stabilisiert. Über den Email-Rundbrief werden ca. 700 Interessierte direkt erreicht.

 

Aus Anlass des 50. Geburtstages der Arbeitsgemeinschaft ist am 26. November 2021 ein weiterer Studientag im Greifswalder Lutherhof geplant. Der Vorsitzende machte auch auf die nach wie vor unbefriedigende Situation des landeskirchlichen Archivs aufmerksam. Die Akten befinden sich derzeit in Schwerin und Kiel, obwohl im Fusionsvertrag der Nordkirche von 2011 eine Außenstelle des Archivs für die pommerschen Akten in Greifswald zugesichert worden war. Zwar wurde Anfang des Jahres nicht zuletzt durch Vermittlung von Landesbischöfin Kristina Kühnbaum-Schmidt ein Kompromiss erzielt, wonach ein Teil der Archivalien künftig im Haus Karl-Marx-Platz 16 zugänglich werden soll. Aber passiert sei bislang noch nichts weiteres. Darum müsste auch die Arbeitsgemeinschaft auf die Einhaltung der Zusagen dringen. Das wird von den Mitgliedern unterstützt.

 

Die Kassenprüfung der letzten beiden abgeschlossenen Haushaltsjahre erbrachten keine Beanstandungen. Der Vorstand wurde einhellig entlastet. Die turnusmäßig vorgesehene Neuwahl des Vorstandes wird im nächsten Jahr erfolgen.