Predigerseminare in Pommern – ein fast vergessenes Kapitel pommerscher Kirchengeschichte

Beim Hören der Stichworte Predigerseminar und Stettin denken wohl die meisten historisch Interessierten allenfalls an das von Dietrich Bonhoeffer geleitete Seminar der Bekennenden Kirche in Finkenwalde. Dass es in Pommern noch zwei andere Predigerseminare gegeben hat, ist in Vergessenheit geraten. Friedrich Bartels, langjähriger Vorsteher der Züssower Diakonie, ist im Zusammenhang seiner Forschungen zur pommerschen Diakoniegeschichte und besonders zu den Kückenmühler Anstalten in Stettin auf einen größeren Aktenbestand im Evangelischen Zentralarchiv Berlin gestoßen, der über ein Predigerseminar in Kückenmühle informiert. Die Ergebnisse seiner Aufarbeitung dieser Akten und weiterer Quellen hat er am 29. Juni 2016 im Pfarrhaus Neuenkirchen bei Greifswald vorgestellt. Ein erfreulich großer Kreis von Zuhörern war der Einladung der Arbeitsgemeinschaft für pommersche Kirchengeschichte zu diesem spannenden Vortragsabend an einem historischen Ort gefolgt.

 

Friedrich Bartels berichtete zunächst, dass es schon in den sechziger und siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts ein Predigerseminar in Pommern gab. Auf Initiative des Generalsuperintendenten Jaspis hatte der Evangelische Oberkirchenrat in Berlin, die Leitungsbehörde der preußischen Landeskirche, zu der die Provinz Pommern gehörte, ein Seminar in Züllchow einrichten wollen, das dann 1867 in Frauendorf, nördlich von Stettin am Oderufer gelegen, errichtet wurde. Der Betrieb bereitete jedoch von Anfang an wirtschaftliche Schwierigkeiten. Auch der Versuch, im Haus vor allem Nachwuchs für die Militärgeistlichkeit auszubilden, scheiterte. Nach wenigen Jahren wurde das Seminar daher geschlossen. Erst Ende des 19. Jahrhunderts wurde endlich für die Ausbildung der Geistlichen ein einjähriges Vikariat und ein ebenso langes Studium an einem Predigerseminar verbindlich eingeführt. Der Evangelische Oberkirchenrat errichtete nun eine Reihe von solchen Seminaren, allerdings zunächst nicht in der pommerschen Kirchenprovinz. Erst nach dem 1. Weltkrieg, als ein bisher in den nun polnisch gewordenen Gebieten Westpreußens gelegenes Seminar übergangsweise an das Johannesstift in Spandau verlegt worden war, kam es 1923 zum Umzug dieser Einrichtung aus Spandau nach Stettin-Kückenmühle auf das Gelände der Diakonie.

Erster Direktor war Martin Albertz, der, aus reformierter Tradition kommend, Schwierigkeiten sowohl mit einem konfessionellem Luthertum als auch mit der vorherrschenden konservativen, deutsch-nationalen Grundhaltung hatte. Sein Direktorat endete bereits 1931. Nachfolger wurde Otto Haendler, der zuvor Pfarrer in Stralsund war und sich bereits einen Ruf als praktischer Theologe erworben hatte. Das neue deutsch-christliche Kirchenregiment in Preußen legte ihm im nationalsozialistischen Staat einen Stellenwechsel nahe. Von 1935 bis 1949 war Haendler Pfarrer und Privatdozent in Neuenkirchen – heute ist das ehemalige Wohnzimmer der Familie Haendler Gemeinderaum in Neuenkirchen – und ab 1949 ordentlicher Professor in Greifswald, ehe er 1954 nach Berlin berufen wurde. Sein Nachfolger am Predigerseminar in Kückenmühle war der Theologe Hans Nordmann, der den staatstreuen Deutschen Christen offenbar näher stand. Er leitete das Seminar bis zur Schließung nach Ausbruch des 2. Weltkrieges und wirkte danach in verschiedenen Funktionen in Berlin.

Über die Lern- und Ausbildungsinhalte des Seminars in Kückenmühle gibt es leider keine Funde in den Akten. Nicht belegen lässt sich bisher auch, ob es Kontakte zwischen den Seminaristen aus Kückenmühle und denen aus Finkenwalde gab – die örtliche Nähe war ja gegeben. Nach dem Krieg haben dann allerdings Absolventen beider Häuser gemeinsam ihren Dienst in den durch den Kirchenkampf zerrütteten ehemals preußischen Landeskirchen aufgenommen, auch in Pommern und dies – wenn man sich einige Namen, die Friedrich Bartels auflisten konnte, in Erinnerung ruft – durchaus zum Segen der Kirche.

 

In dem Kirchengeschichtsjahrbuch „Herbergen der Christenheit“ aus Leipzig, das vom jetzigen Ortspfarrer aus Neuenkirchen, Pastor Dr. Volker Gummelt mit herausgegeben wird, ist eine Veröffentlichung der Studie von Friedrich Bartels über die Predigerseminare in Pommern noch in diesem Jahr vorgesehen – die Lektüre kann nur empfohlen werden, um den Mantel des Vergessens über diesem Stück unserer jüngeren Geschichte zu lüften oder eine sehr einseitige Erinnerungskultur durch neue Erkenntnisse etwas differenzierter und vielfarbiger zu gestalten.

 

Christoph Ehricht

Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für pommersche Kirchengeschichte