BildgeschichtenHans Grundig malte 1934 eine Kreuzigung für die Dorfkirche in Klatzow

In der Sammlung des Staatlichen Museums Schwerin hängt ein Gemälde mit der Darstellung der Kreuzigung, das unten rechts die Aufschrift trägt: „HERRN PASTOR SIEG IN VEREHRUNG GEWIDMET / CLATZOW 6. AP. 34. HANS GRUNDIG“.

Auf dem annähernd quadratischen Bild (1 m breit, 1,11 m hoch) dominieren kalte blau-grün-Töne. Auch der Körper des Gekreuzigten zeigt eine kalte Leichenfarbe. Unwillkürlich denkt man an den Gekreuzigten Grünewalds auf dem Isenheimer Altar. Das Blut auf dem Körper, besonders auf der hell aufleuchtenden Stirn, bringt gleichzeitig die Farbe des Lebens ins Spiel. Im Hintergrund breitet sich die Nacht aus über kahler Landschaft mit abgestorbenen Bäumen, die Landschaft ist öde und leer, unmenschlich und kalt. Baumstümpfe stehen für die Lebensfeindlichkeit dieser Umwelt. Der Mond steht hoch am Himmel über den Bergen rechts im Hintergrund. Diagonal dazu auf der anderen Seite geht die Sonne unter in einem bedrohlich wirkenden Aschrot der Wolken, wie giftiger Qualm aus einem Schlot. Auch auf der Sonnenseite sind die Bäume abgestorben und kahl. Wie ein Hoffnungsschimmer schlängelt sich ein Weg durch die Landschaft als Zeichen menschlichen Seins, und unter der Sonne scheint das Meer sich aufzutun als Sinnbild der Unendlichkeit. Ein paar Sterne stehen zeichenhaft am Himmel.

Der Körper des Gekreuzigten ist ausgemergelt, der betonte Brustkorb hat ein fahles Leichenblau. Das zur Seite gesunkene Haupt drückt mehr Trauer als Schmerz aus. Die Hände wirken wie ein stummer Schrei. Überdeutlich hebt sich die Schmähschrift groß und hell über Christi Haupt ab. Das Lendentuch ist grau und ausgefranst zerrissen, ein Fetzen Tuch, das den Gekreuzigten bekleidet.

Hans Grundig wurde 1901 in Dresden geboren und erhielt dort seine Ausbildung, zunächst in der Kunstgewerbeschule, dann an der Akademie. 1926 trat er der KPD bei und 1929 zusammen mit seiner Frau Lea Langer (1906-1977) der „Asso“, der 1928 gegründeten Assoziation Revolutionärer Künstler Deutschlands.

Ins Clatzower (damals noch mit C geschrieben) Pfarrhaus zur Familie von Pastor Friedrich (Fritz) Sieg und seiner Frau Maria kam der nach der „Machtergreifung“ der Nazis bedrängte Hans Grundig durch Vermittlung der Künstlerin Helen Ernst (1904-1948) www.helen-ernst.de , die dort seit Februar 1934 Unterschlupf gefunden hatte. Durch die Briefe Grundigs an seine Frau Lea sind wir über die Entstehungszeit des Bildes, das als Altarbild konzipiert war, aber wohl nie in der Kirche Aufstellung fand, gut informiert. Nachzulesen ist das in der Biografie Helen Ernsts von Hans Hübner (Helen Ernst: Ein zerbrechliches Menschenkind (1904-1948), Berlin, trafo verlag, 2002). Am 7. März 1934 schrieb Grundig, dass er morgen mit der Arbeit beginnen würde, am 18. März war das Bild wohl weitgehend fertig. Gleichzeitig wurde unter Grundigs Anleitung die Kirche neu ausgemalt. Die Decke in einem „fabelhaften Türkisblau“, die Wände in einem gedämpften gelben Ton und die Balken in stumpfem Braunrot. Leider wurde diese Farbgestaltung Grundigs bei der letzten Renovierung der Kirche nicht erneuert.

Was bewog den Atheisten und Kommunisten Grundig, ein Kruzifix für die Klatzower Kirche zu malen?
Dazu Elias Balke (dargestellt ist Balke auf dem von Grundig gemalten „Bildnis eines Verschollenen“ in der Berliner Nationalgalerie), ein Freund Helen Ernsts, der zu dieser Zeit ebenfalls in Clatzow zu Gast war: „Friedrich Sieg hätte seinen Gast niemals so taktlos in diese peinliche Zwangslage versetzt, nie von einem Atheisten die Behandlung eines christlichen Themas erbeten, nie Hans Grundigs politisches Gewissen mit einem so problematischen Anliegen belastet. Der Anlaß für Hans Grundigs Altarbild ist vielmehr darin zu sehen, dass ihm in Sieg ein Pastor gegenüberstand, in dem sich Anspruch und Wirklichkeit deckten, anders gesagt, ein Mann, der tiefes, in praktische Hilfe umsetzbares Verständnis für die Nöte, Ängste und Schmerzen anderer hatte. Diese Haltung hat den unbestechlichen Menschenbeobachter Hans Grundig überzeugt.“ (Notiz von Prof. Elias Balke im Oktober 1987, zitiert nach Hübner, 2002, S. 153f.). Balke überlieferte auch eine Vision der Künstlerin Helen Ernst, in der sie 1934 (!) den Einmarsch der Russen in ein brennendes Deutschland voraussah. „Auch Friedrich Sieg war im tiefsten erschrocken und spürte, daß Helen in einem Augenblick nicht erklärbarer Hellsichtigkeit etwas beschrieben hatte, was später eintrat.“ (zit. nach Hübner, S. 150).

Auch das Bild Hans Grundigs ist von düsteren Ahnungen durchdrungen. Bis 1937 hing es im Clatzower Pfarrhaus. Pastor Sieg nahm es mit nach Groß Zicker, wo auch Helen Ernst, die 1948 an den Folgen der KZ-Haft und zermürbt von unrechtmäßigen Beschuldigungen in der Nachkriegszeit gestorben war, ihre letzte Ruhe fand. Das Bild wurde später an Lea Grundig zurückgegeben und 1975 vom Staatlichen Museum Schwerin erworben, wo es heute unter dem Titel „Ecce homo“ ausgestellt ist.

© Detlef Witt 2008, mit herzlichem Dank an den Trafo-Verlag Berlin, Dr. Wolfgang Weist und das Staatliche Museum Schwerin, Dr. Kristina Hegner