BildgeschichtenIst aber der Schönste unter den Menschenkindern. Die Triumphkreuzgruppe der Johanneskirche in Schaprode
Die St. Johanneskirche in Schaprode gehört zu den ältesten Kirchenbauten auf der Insel Rügen. Vermutlich waren es dänische Bauleute, die Erfahrungen beim Bau der großen neuen Kirchen auf Seeland gesammelt hatten, die auf der erst 1168 dem Christentum erschlossenen Insel im Einflussbereich des dänischen Großreiches Kirchen errichteten. Damals soll es noch eine Landverbindung zwischen Rügen und Hiddensee gegeben haben, die erst bei einer großen Sturmflut zu Beginn des 14. Jahrhunderts abriss. Der Name „Sza Broda“ bedeutet „hinter der Furt“ oder „bei der Fähre“, und diesen Namen trägt der Ort mit dem durch die kleine Insel Öhe geschützten Hafen zu Recht. Fahrgastschiffe verkehren heute von Schaprode zum gegenüberliegenden Neuendorf auf Hiddensee. Die St. Johanneskirche liegt nur wenig oberhalb des Schaproder Hafens. Hiddenseebesucher sollten etwas Zeit für deren Besuch einplanen!
Den romanischen Rundbogen, der sich zum Chor der Kirche öffnet, füllt eine große spätgotische Triumphkreuzgruppe aus. Vielleicht entstand sie im Zusammenhang mit einer dendrochronologisch belegten Erneuerung des Chordaches von 1518. Dieses Datum würde gut zur Stilistik der Skulpturen der Kreuzigungsgruppe passen. Den Grund für die Erneuerung des Chordaches kennen wir nicht. Vielleicht war es nach rund dreihundert Jahren baufällig geworden oder ein Blitzschlag hatte einen Brand im alten Dach ausgelöst. Gelder flossen der Kirche sicherlich durch die Wallfahrer zu, die in vorreformatorischer Zeit bei einer wundertätigen Marienfigur in Schaprode ihr Heil suchten. Im 19. Jahrhundert war diese Figur noch vorhanden. Man tauschte sie gegen die Erlaubnis der Gräfin von Usedom, den störenden großen Udarser Chor in der Kirche abreißen zu dürfen.
Das Schaproder Kruzifix gehört zusammen mit einem aus der Dorfkirche in Landow, das sich heute in der Kirche des Neubaugebietes Knieper West in Stralsund befindet, zu den spätesten mittelalterlichen Triumphkreuzen auf Rügen. Das älteste Triumphkreuz Rügens ist in Wiek erhalten. Der Corpus des Gekreuzigten dort könnte noch im ausgehenden 13. Jahrhundert entstanden sein.
Während in Wiek die beiden sogenannten „Assistenzfiguren“ Maria und Johannes im 15. Jahrhundert entstanden sind und wohl erst im 19. Jahrhundert mit dem Triumphkreuz zu einer Gruppe zusammengefügt wurden, ist die Schaproder Triumphkreuzgruppe ursprünglich. Allerdings gab es auch hier in nachreformatorischer Zeit Veränderungen. Davon zeugen Inschriften auf dem Triumphbalken und auf der Rückseite des Kreuzes. Eine recht ungewöhnliche Zutat vermutlich aus der Zeit der Erneuerung der Ausstattung unter Pastor Maneke um 1720 sind zwei Inschrifttafeln, die auf dem Balken zwischen dem Kruzifix und den Seitenfiguren angebracht waren. Diese Tafeln werden noch in der Kirche aufbewahrt, und es wäre zu überlegen, sie wieder an ihrem angestammten Platz anzubringen. Die belehrenden und erbaulichen Inschriften lauten: „Stehet still, ihr Zuschauer, / Schauer und Zittern wird euch überfallen. / Sehet da / Schädelstätt und schädliche Stäte. / Schändliche Thaten sind darauf zum Scha- / den verübet, indem man den Herrn der Herrligkeit / darauf gecreuziget. / Nie erhörte Wunder / Hier steht ein Stamm ohne Wurtzel, / Die Wurtzel Isai ist oben dran gebunden. / Es ist ein Baum des Todes / Der Baum des Lebens ist daran genagelt. / Sehet / Hier hängt ein Gefallener, / Gefallen wird er euch wohl nicht, / er hat keine Gestalt noch Schöne, / Ist aber der Schönste unter den Menschen / Kindern.“ Auf der anderen Tafel: „Er ist ein Gebundener, / Aber, / der Gebundenen Erlöser. / Er ist ein Überwinder der Starcken, / Von Schwachen aber ist er überwunden. / Wunder, über Wunder, / Ihr wolt wissen wie er heisset. / Dieser Todte ist euer Leben. / Dieser Gefallene euer Auferstehen. / Es ist euer leidende Christus / Mitleidende Christen. / Genug, / Selbst Gottes Sohn ist hier am Phale umgekommen / Nun hat euch Gott durch ihn zu Kindern / aufgenommen. / Gehet hierauf mit heiligen Schauer / wieder von einander / Ihr Zuschauer.“
Auf dem Triumphbalken auf der der Gemeinde zugewandten Seite steht die Inschrift: „Christus hat unsere Sundeschafft geopffert an seinem leibe auff dem holtzt. aus 1 Epistel Petri 2 C“ sowie auf der Chorseite: „Ex Donatione Auditorum DN. M. Maneke Pastoris Templum undique instaurari coeptum est - 1720“ (Aus Schenkungen der Hörer des Herrn Magister Maneke, Pastor, ist begonnen worden, diese Kirche allenthalben zu erneuern. Anno 1720.) Der 1681 in Hamburg geborene Pastor Lorentz (Laurentius) Maneke, der 1715 nach Schaprode berufen worden war, nachdem er mehrere Jahre als Feldprediger gedient hatte, machte sich sehr um die Renovierung und Ausstattung der Kirche verdient. Wie damals üblich, heiratete er die Tochter seines Vorgängers und hatte mit dieser zusammen sieben Kinder. Er starb 1758 im gleichen Jahr wie seine Frau. Pastor Dr. Martin Holz hat kürzlich im Rugia-Jahrbuch einen Artikel mit dem Titel „Von Schaprode nach Hamburg. Eine kulturgeschichtliche Reise im Jahre 1745. Teil 1“ über Laurentius Manekes veröffentlicht, der man diese und andere Fakten aus dem Leben des Pastors entnehmen kann.
Die naturalistische Bemalung der Kreuzigungsgruppe, die den Ausdruck des Leidens durch die vielen Blutrinnsale auf dem Körper des Gekreuzigten betont, wurde vermutlich von dem Stralsunder Maler Franz Rose geschaffen, der um 1720 unter Pastor Maneke viel in der Kirche beschäftigt war. Ungewöhnlich ist das Kreuz mit der scheibenförmigen Verbreiterung am Kreuzungspunkt von Stamm und Querbalken. Während die Evangelistensymbole und die eingesteckten durchbrochenen Blätter an den Kreuzesenden wohl gleichzeitig mit dem Corpus geschaffen wurden, könnte das Kreuz selbst noch älter sein. Beantworten könnte diese Frage eventuell eine dendrochronologische Untersuchung des Holzes.
© Detlef Witt 2007