Norbert Buske
Mit Beiträgen von Beate Bugenhagen und Matthias Schneider
Fromme barocke Sinnbilder in Farbe und Musik.
Das Hohe Lied – Darstellungen an der Patronatsempore in Steinhagen

Beiträge zur pommerschen Landes-, Kirchen- und Kunstgeschichte, Band 17.
124 Seiten, Paperback, 110 Abbildungen, elf Liedtexte mit Noten und einer Musik-CD.
Thomas Helms Verlag Schwerin
16,80 €
ISBN 978-3-940207-84-5

 






Ohrenschmaus und Augenweide: Der küssende Jesus von Steinhagen

Aha, hier eine Kreuzigung und da eine Grablegung – so ist meist meine kurze Wahrnehmung der bildlichen Ausstattung der Kirchen, solange ich nicht eine Hilfe zu Verständnis und Geschichte der Bilder und wenn es hochkommt – zum Bildprogramm bekomme, denn erst dadurch sehe ich das, was ich vor mir habe – und erst dadurch entdeckte ich den küssenden Jesus von Steinhagen.

 

Hoch zu empfehlen ist daher das Buch von Norbert Buske „Fromme barocke Sinnbilder in Farbe und Musik“, das einen Teil des Bildprogramms der Kirche von Steinhagen – südlich von Stralsund gelegen – , vor allem von Kanzel, Epitaph, vor allem aber die Patronatsempore beschreibt und so sehen lehrt. Und – man lese den Titel genau – auch hören läßt, denn die elf Szenen zum Hohen Lied sind mit Andachtsliedern versehen, die auf einer CD aufgenommen sind und von Beate Bugenhagen in ihrem musikhistorischen Hintergrund vor Augen und durch Mechthild Kornow auch zu Ohren geführt werden. Alle Lieder sind zudem vollständig mit Text und Melodie abgedruckt, was Matthias Schneider in heutige Noten gesetzt hat.

 

Wesentlich für die Entstehung dieser in Pommern einzigartigen Szenenfolge aus dem Hohen Lied ist die damalige Patronatsherrin von Steinhagen, Maria Klinkow, deren Portrait im Epitaph gegenüber der Loge, zu sehen ist. Eindrucksvoller ist aber das, was sie für elf Felder der Patronatsloge aus einem erfolgreichen pietistischen Andachtsbuch jener Zeit ausgewählt hat. 1651 erschien das – um 20 Kupferstiche und 23 Lieder erweitert – Andachtsbuch von J. W. Dilherr erneut.

 

Norbert Buske vergleicht die Vorlage mit der Steinhägener Auswahl, vermutlich nach 1663 entstanden, und führt durch Auswahl und Veränderung das individuelle Glaubensbekenntnis der Gutsbesitzerin Maria Klinkow vor Augen. Die Szenen, immer mit Christus und der rotgewandeten Gutsbesitzerin – als Zeichen ihrer Liebe -, zeigen die gläubige Seele und ihren Seelenbräutigam Christus. Gleich das erste Bild zeigt ihren Herzensfreund Jesus, der von einem Fenster auf sie herabschaut und vor ihr liegt ein umgekipptes Salbgefäß, mit der Gravur „JHS“ gekennzeichnet, aus dem kostbarer Duftstoff ausfließt. Die Überschrift verweist auf einen Vers aus dem Hohen Lied: „Es riechen deine Salben köstlich; dein Name ist eine ausgeschüttete Salbe, darum lieben dich die Jungfrauen“. Rechts im Bild ist ein Schlangensymbolrätsel zu sehen und die Erklärungen des Verfassers lassen verstehen, was dem normalen Auge unentschlüsselt bleibt.

 

Im neunten Bild sieht man die Herzensfreundin küssend, eng umschlungen mit ihrem Seelentrost, nachdem sie ihn im vorherigen Bild ergebnislos gesucht hat. In der Vorlage des Andachtsbuches ist Jesus sogar mit Aura gekennzeichnet. Zur Andacht sollen Verse beitragen, und da liest man u.a.: „umarme mich / ach, lass dich brünstig küssen und Wechselweiß den Kuß mit Kuß versüssen.“ – Das ist barocker Pietismus!

 

So bietet die Patronatsherrin mit ihrem Bilderbekenntnis heute einen Einblick in einen für uns kaum mehr zugänglichen Glauben. Doch schon um 1800 wurde in Reisebeschreibungen diese schon bald unverständlich gewordene Glaubenswelt in pommerschen Kirchen kritisiert. Vermutlich wurde alles wenige Jahre später übertüncht und erst Anfang der 90iger Jahre des vergangenen Jahrhunderts wieder entdeckt.

 

Zu empfehlen ist also ein meditativer Aufenthalt in Steinhagen, die Musik im Ohr und das im Schweriner Thomas Helms Verlag erschienene Buch in den Händen, um sehen zu lernen. Aber noch mehr: um in der Betrachtung dieses Bekenntnisses mit dem eigenen Glaubensverständnis ins Gespräch zu kommen – das würde Maria Klinkow erfreuen. Gerade daher ist „sehen lernen“ eine heilsame Angelegenheit.

Rainer Neumann